Mein geschätzter Vorgänger André Vatter klang gestern auf Google Plus fast ein wenig verängstigt: „Ein Wahnsinn, wo und vor allem wie scharf derzeit im Netz und in der Tech-Branche geschossen wird“. Und er nannte neue Drohungen der Musikindustrie, das Chaos um Wikileaks und das Gezetere um Techcrunch als Beispiel. Ich hab versucht, ihn zu beruhigen: Das sei doch alles für sich genommen nichts Neues und Besonderes. Aber womit er Recht hat: Es ist wieder richtig was los im Moment. Das Sommerloch ist vorbei. Es geht wieder rund.
Die Frage ist: Warum gerade jetzt? Sicher: Die Urlaubszeit ist vorbei – hier in NRW natürlich passenderweise heute – und die Branche ist zurück an ihren Schreibtischen und Kreativstudios, wo sie neue Dinge aushecken kann. Nun war es allerdings nicht so, dass in den vergangenen Wochen rein gar nichts passiert wäre. Mit Verlaub: HP hat mit dem Gezetere um WebOS eine Woche lang den Alleinunterhalter gemacht. Die Gamescom hat von RTL ihr Fett wegbekommen und RTL dafür sein Fett von der gesamten Netzgemeinde. Und wenn man so will, fiel Google Plus mit seinem Start Ende Juni auch mitten in den Sommer. Schuld an dem Ende der Ruhe dürfte aber zu einem großen Teil die IFA sein. Durch sie hat sich die Berichterstattung in den letzten Tagen einfach verdichtet.
Wozu eigentlich noch die CeBIT?
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Denn die wenigen Trends und Ereignisse sorgen doch für allerhand Zündstoff: Schmucke neue Tablets von Samsung, die auf Apples Initiative hin entfernt werden. 3D als ein Hype, den man nicht lieben muss, über den es aber viel zu schreiben und vor allem zu diskutieren gibt. Neue Hardware braucht das Land. Und dass Apple mit einem verlorenen Prototypen pünktlich zur IFA in die Schlagzeilen kommt, kann Zufall sein, muss es aber nicht. Auf Golem.de stellt man sich bereits die Frage, wozu man eigentlich noch die CeBIT braucht. Schließlich seien kurz vorher der Mobile World Congress und Consumer Electrics Show, wo die Hersteller ihre neuen Produkte für das Frühjahr vorstellten. Die IFA hingegen läute im September das Weihnachtsgeschäft ein.
Oha, das wäre noch ein weiterer Aspekt. Das große Fest wirft schon seine Schatten voraus, die ersten Lebkuchen finden sich schon wieder bei Rewe und Edeka in der Weihnachtsecke. Und spätestens seit Anfang der Woche geht es auch in der Technikpresse wieder richtig zur Sache: Mit der irrsinnigen Diskussion um die Rechtmäßigkeit des Like-Buttons haben ein paar deutsche Provinzpolitiker es immerhin geschafft, eine Stellungnahme und ein klärendes Gespräch von Facebook zu bekommen. Was selten ist. Das Blog „Business Insider“ hat ein hoffentlich nicht ganz ernst gemeintes Übernahmeangebot an Yahoo abgegeben, um zum nächsten Techcrunch zu werden, das sich die redaktionelle Freiheit aber bereits vor Ultimaten verbriefen lässt.
Facebook versucht sich noch einmal an einer iPhone-App. Ob die iPad-App auch noch kommt? Groupon überlegt sich das noch einmal mit dem geplanten Börsengang. AT&T darf doch nicht mit T-Mobile USA fusionieren, weil Sprint etwas dagegen hat. Bei Netflix könnte die Herrlichkeit langsam vorbei sein. Notebooksbilliger hatte noch 1.300 TouchPads bekommen und erfuhr den Zorn des Webs. Und der nächste Shitstorm bahnt sich gerade an, weil deutsche Mobilfunkanbieter Kundendaten länger gespeichert haben als erlaubt.
Da wären wir wieder mitten im Geschehen. Die IFA war zwar nicht die spannendste ihrer Art. Aber sie scheint die Branche aufgeweckt zu haben. Machen wir uns bereit für einen unterhaltsamen Herbst.
(Jürgen Vielmeier)