Technologie

„Zahle, was du willst“ als Konzept: Was wurde aus itch.io, dem Portal für Indiegames-Entwickler?

geschrieben von Jürgen Kroder

David gegen Goliath. Dieses Gefecht wird dank innovativer Start-ups in verschiedenen Branchen ausgefochten. So auch im Bereich der Download-Games. Hier dominiert Steam. Doch ein kleines, aber sehr feines Portal mit extrem zufriedenen Nutzern wagt den Angriff: Itchio. Wir haben uns das Portal genauer angeschaut und mit den Machern und verschiedenen Entwicklern darüber gesprochen. // von Jürgen Kroder

Wie kommt der Gamer von heute an seine Spiele? Na klar: Er rennt am Release-Day nicht mehr in den Laden, sondern lässt sich von Amazon sein Objekt der Begierde ganz bequem liefern. Oder er spart sich das haptische Erlebnis, verzichtet auf Verpackung und CD/DVD (gescheite Anleitungen gibt’s ja schon lange nicht mehr) und lädt sich das Spiel einfach herunter.

Nachdem man jahrelang davon redete, dass Games als Downloads ein Trend seien, haben sie sich mittlerweile fest etabliert: Im Durchschnitt zocken 36 Prozent der US-Amerikaner auf ihrer Konsole, ihrem Handheld oder ihrem Computer Spiele, die sie als Download erworben haben. Wobei die PC-Besitzer mit 90 Prozent die häufigsten Nutzer sind.


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Kein Wunder, schnelles Internet gehört in vielen Regionen zum Standard und Download-Plattformen machen auch das legale Herunterladen zu einer Freude. Man denke nur an die ständigen Verkaufsaktionen von Steam, die Klassiker-Angebote auf Gog.com oder die Schnäppchen bei HumbleBundle. Darüber gibt es zahlreiche Seiten für Liebhaber von Indie-Teams und Hobby-Entwicklern. Ich denke da an IndieDB oder Desura.

Und an Itch.io. Anfang 2014 berichtete ich zum ersten Mal über die Seite. Damals war sie noch recht neu. Trotzdem bot sie schon genügend Inhalte, die mich faszinierten. Das fing bei den kreativen Games an, ging über die Möglichkeit, diese günstig bis ganz umsonst zu genießen und endete darin, dass man selbst ganz schnell und einfach dort seine eigenen Werke hochladen kann.

Jetzt, über ein Jahr später stellt sich mir die Frage: Was wurde aus Itchio? Lebt es noch? Wenn ja – wie gut?

Manches ist anders. Aber die Seele blieb erhalten.

Als ich itch.io in meinen Browser eintippe, freue ich mich. Die Webseite gibt es noch. Und sie sprüht vor Leben über. Man wird von großen, bunten Teaser begrüßt, bei dem einen oder anderen handelt es sich um ein animiertes GIF. Professionelle Artworks wechseln sich mit Pixel-Bildchen ab. Das alles wirkt chaotisch, kreativ, sympathisch. Am liebsten würde ich auf jedes zweite Icon klicken und schauen, welch interessantes Werk sich dahinter verbirgt.

Was mich allerdings ins Stocken bringt, ist eine vermeintliche Neuausrichtung: Während früher kostenlose Games im Vordergrund standen, sieht man nun Preisschild an Preisschild. Das einstige Indie-Projekt scheint sich dem Kommerz hingegeben zu haben. Die naiven Zeiten sind wohl vorbei, nun ist aus der Download-Seite ein echter Shop geworden. Oder?

Diesen Vermutungen widerspricht Amos Wenger, einer der wenigen Mitarbeiter bei Itchio. Auf BASIC thinking-Anfrage, warum sich die Plattform verändert habe, sagt er:

Manche haben itch.io als ‚Bandcamp für Games‘ bezeichnet. Entwickler, speziell Indies, benötigen einen Weg der Bezahlung, damit sie weiter entwickeln können. Deswegen ist die Darstellung von Paid Games kein Verrat an den Wurzeln, noch impliziert es, dass wir uns verkauft haben. Ganz im Gegenteil: Es ist ein Zeichen, dass wir sachte aufblühen. (…) Würden wir wirklich versuchen, den maximalen Profit aus itch.io herauszuholen, gäbe es vieles, was wir anstellen könnten – aber wir machen es nicht.

Stattdessen habe man sich eine andere Mission als das Geldverdienen auf die Fahnen geschrieben: Wenn das Itchio-Team ein Spiel auswähle, um es auf der Startseite zu präsentieren, dann möchte man das lediglich, um den Nutzern ein Spiel zu präsentieren. Nicht mehr, versicherte Amos mir. Obwohl das nach PR-Blabla klingen mag, glaube ich es trotzdem. Dafür habe ich verschiedene Gründe, die ich hier im Detail erläutern möchte.

Faire Preise und keine Abzocke

Zum einen: Die Preise erscheinen alle ziemlich moderat. Hier sieht man keine Angebote für 40 bis 50 Euro, also den Preisen von „großen“ Spielen. Stattdessen kosten die Werke zwischen drei und zehn Euro, was dem typischem Preismodell für Indiegames entspricht.

Zudem hat man die DNA der Seite nicht über Bord geworfen, sondern etwas nach hinten geschoben: Man findet bei Itchio weiterhin Games, die kostenlos sind. Damit sind keine Free-2-Play-Verlockungen gemeint, sondern echte Gratis-Angebote ohne Haken und Monetarisierungs-Hintertürchen.

Bei den kostenlosen Spielen handelt es sich entweder um Preview-Versionen, um Demos oder um echte Freeware. Und die gibt es nicht nur als Downloads (in der Regel für Windows, OS X und Linux), sondern auch als eingebettete Onlinespiele, die in der Regel auf Unity basieren.

Ein Spielplatz für verrückte Experimente

Was mir ebenfalls noch gefällt: Itch.io ist weiterhin ein Tummeplatz für kreative Ergüsse, Spielereien und Spinnereien geblieben. Angefangen vom spaßigen Mehrspieler-Shooter „Penguins Arena“ über das komplett in schwarz-weiß gehaltene „The Graveyard“, das zum Nachdenken übers Leben anregt, bis hin zum „Coming Out Simulator“ (wie outet man sich als junger Homosexueller seinen konservativen Eltern gegenüber?) und dem umstrittenen „Cobra Club“, wo es ums Ablichten von männlichen Geschlechtsteilen geht, findet man hier jede Menge Perlen abseits des glatt gebügelten Mainstreams.

Apropos, was habe ich da gerade aufgezählt? Ein Game mit Geschlechtsteilen – geht das denn? Immerhin ist man von den meisten Plattformen gewohnt, dass sie auf die prüden US-Richtlinien achten und jeden Hauch von Sexualität komplett unterdrücken wollen. Nicht so bei Itchio.

Klar, die Nutzungsbedingungen verbieten das Hochladen von sexistischen Inhalten, aber eben nicht von Erotik oder abstrusen Ideen mit (halb-)nackten Menschen. Vorerst. Denn wie BASIC thinking auch Nachfrage erfuhr, gab es schon Beschwerden aufgrund der expliziten Inhalte. Deswegen arbeite man derzeit an einem Einstufungssystem für eine bessere Kennzeichnung zweifelhafter Inhalte.

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„Ich liebe es“

Was ebenfalls beibehalten wurde: Jeder kann und darf auf Itchio Games veröffentlichen. Dafür ist weder ein umständlicher Prozess, noch ein dickes Vertragswerk nötig. Einfach anmelden, Daten hochladen, Infos eintippen – schon hat man eine Produktseite für sein Werk.

Das schätzen Entwickler. Gerade die, welche schon die zähen Formalitäten von Steam und Konsorten durchlebt haben. Deswegen sagt George Batchelor, Schöpfer des Titels „Hot Date“ (eine Hunde-Dating-Simulation): „Yes, I love Itchio. It’s so good.“ Und mit dieser Liebesbekundung ist er nicht alleine. Ich habe verschiedene Entwickler kontaktiert, von allen bekam ich die gleiche positive Rückmeldung.

Wie es die Zahlen zeigen, scheint sich die Zufriedenheit auszuzahlen. So wurden seit dem Start im März 2013 insgesamt knapp 15.000 Spiele hochgeladen, plus noch ein paar hundert Mods, Assets, Soundtracks und andere Dinge. Das schlägt sich auf den Umsatz nieder. Seit Dezember 2014 gibt es auch hier deutliche Zuwächse. Der Spitzenwert wurde im Mai 2015 mit fast 51.500 US-Dollar erreicht.

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Klar, im Vergleich zu den Mitbewerbern mag das nicht viel sein, eher ein Rundungsfehler. Man muss aber bedenken, dass knapp 90 Prozent der Games zur Kategorie „Free“ gehören und die restlichen 10 Prozent die Games abdecken, die nur wenige Euro kosten.

Spende Geld, wenn du zufrieden bist, lieber Gamer

Dass Itchio solch geringe Umsätze erzielt, liegt auch an der idealistischen Einstellung. Wie schon weiter oben erwähnt, haben die Betreiber nicht den Profit im Fokus. Das spürt und sieht man bei genauerer Betrachtung an vielen Stellen. Beispielsweise gibt es bei allen Paid-Games die Option, dass man nicht den vorgegebenen Preis bezahlt, sondern das, was man möchte. Das sorgt natürlich für Aufsehen und Traffic. Beispielsweise erzielte „Hot Date“ innerhalb eines Monats 37.000 Downloads. Davon bezahlten über 880 für das kuriose Game. Der vorgeschlagene Preis liegt bei 1,99 britischen Pfund (rund 2,80 Euro), welchen die meisten Zahlkunden wählen. Laut George Batchelor gab es aber auch schon Käufer, die 20 Pfund spendeten.

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Unterm Strich machte der Entwickler etwas mehr als 3.000 Euro Umsatz. Damit ist er sehr zufrieden, sagt er gegenüber BASIC thinking. Denn er habe „Hot Date“ nur nebenbei programmiert und dank Itchio konnte er die ersten Schritte in die Games-Industrie wagen. Deswegen möchte er weitere Spiele entwickeln und über die Plattform vertreiben.

Verständlicherweise sind die Umsätze, die man über itch.io einfährt, nicht mit denen von anderen Download-Seiten zu vergleichen. Beispielsweise setzte Evan Todd mit seinem PC-Spiel „Lemma“ in 1,5 Monaten auf der Indie-Plattform 630 Euro und auf Steam knapp 40.000 Euro um. Das sind krasse und eindeutige Unterschiede. Trotzdem preist Evan auf der Kaufen-Seite seines Spiels die Möglichkeit über Itchio an erster Stelle an. Seine Begründung dafür klingt dafür ganz simpel:„Itchio is 100% awesome“, sagt er voller Überzeugung auf Nachfrage.

Keine Abzocke, sondern faire Abgaben

Woher diese Begeisterung rührt, hat einen weiteren Grund: Zwei Jahre lang verlangte der Betreiber und Gründer „Leaf“ keinerlei Provision. Seit diesen März soll etwas Geld in die Kassen gespült werden. Deswegen hat man das „Open Revenue Sharing“-Modell eingeführt. Das heißt: Anstatt starre Provisionen vorzugeben (in der Regel liegen sie in der Branche bei 30 Prozent), können die Entwickler selbst über einen Schieberegler festlegen, wie viel Prozent ihrer Umsätze sie abgeben möchten.

Zahlt sich dieses faire Modell für Itchio aus? Laut Amos Wenger wählen die meisten Developer eine Abgabe von 10 Prozent. Viele seien auch so generös, dass sie mehr abgeben. Teilweise gäbe es Entwickler, die zeitweise den Regler auf 100 Prozent schieben, um itch.io etwas Gutes zu tun.

Verständlicherweise agieren nicht alle so. Jeder hat andere Beweggründe. Die einen möchten zuerst die Plattform testen und setzen deswegen eine 0-Prozent-Provision an, andere rechnen bei ihren Umsätzen mit der spitzen Feder. So wie Evan Todd bei „Lemma“. Er gibt Itchio fünf Prozent ab, weil er so viel auch im Store von HumbleBundle erhält.

Konkurrenzängste? Nein.

Wie geht es mit itch.io weiter? Man arbeite an verschiedenen Baustellen, sagt Amos. Zum Beispiel möchte man die Seite übersetzen und die Bezahlmethoden verbessern, um sie weiteren Nutzergruppen leichter zugänglich zu machen. Man schaue auf jeden Fall positiv in die Zukunft. Obwohl der Markt der Download-Angebote für Games hart umkämpft ist und von Steam dominiert wird, sei man nicht besorgt:

So wie iTunes Bandcamp nicht umgebracht hat, wird auch itch.io als Marktplatz für Kreative, welche die volle Kontrolle über ihre Arbeit haben möchten, bestehen.

Kann man so viel Zuversicht widersprechen? Ich nicht.

Über den Autor

Jürgen Kroder

Jürgen bezeichnet sich als Blogger, Gamer, Tech-Nerd, Autor, Hobby-Fotograf, Medien-Junkie, Kreativer und Mensch. Er hat seine unzähligen Hobbies zum Beruf gemacht. Und seinen Beruf zum Hobby. Obwohl er in Mainz wohnt, isst er weiterhin gerne die Maultaschen aus seiner Heimat.

1 Kommentar

  • Erstaunlich dass dieser nette kleine Indie-Shop bei mir so lange unter Radar geflogen ist. Diesen hübschen Populous-Klon namens „Reprisal Universe“ hätte ich wohl jedenfalls nicht ohne entdeckt. Danke für den Tip!