Was haben Robert Habeck, Anja Amaranth, Frank Thelen und der „bloggende Bahner“ gemeinsam? Nun, sie sind alle ausgewiesene Twitter-Jünger. Deshalb haben wir sie nach ihrem Erfolgsgeheimnis befragt. Was zeichnet erfolgreiche Tweets aus? Die Antworten sind erfrischend abwechslungsreich.
Nachdem ich recherchiert habe, wie man mit ein paar kleinen Tricks und Stellschrauben bei Twitter mehr Reichweite aufbaut, möchte ich heute den Blick in die Praxis werfen.
Dazu habe ich zwölf bekannte Twitter-Nutzer gefragt, welcher ihr reichweitenstärkster Tweet des Jahres gewesen ist und was erfolgreiche Tweets auszeichnet. Was kam bei ihren Followern richtig gut an – Statements, Fotos, gepostete Links? Lassen sich anhand dieser Beispiele bestimmte Muster erkennen und Learnings herauslesen?
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Dabei war es mir wichtig, nicht nur Prominente, sondern eine bunte Mischung von Leuten aus allen möglichen Lebensbereichen und mit einer großen Spannbreite an Followern vorzustellen – von 1.000 bis 40.000.
Lasst uns gemeinsam schauen, was da so 2018 gezwitschert wurde und welche Muster sich für erfolgreiche Tweets erkennen lassen.
1. Peter Wittkamp, Autor und Texter (22.700 Follower): Ein Dreiklang
Peter Wittkamp hat sich durch seine Pointen-Treffsicherheit längst einen Namen gemacht. Als jüdische AfD-Mitglieder sich zu der Vereinigung „Juden in der AfD“ zusammenschlossen, gab ihm das eine perfekte Steilvorlage.
Er kommentiert: „Meine Zutaten für einen erfolgreichen Tweet sind: ein aktuelles Thema, über das viel geredet wird, plus den Klassiker des Comedy-Schreibens: ein hübscher Dreiklang!“
Merken.
Nach der Mitgliedervereinigung „Juden in der AfD“ freue ich mich schon sehr auf „Kommunisten in der FDP“, „Walfänger bei den Grünen“ und „Hochbegabte in der NPD“.
— Peter Wittkamp? (@diktator) 25. September 2018
2. Carline Mohr, Redakteurin und Buchautorin (15.500 Follower): Klar Stellung beziehen
Bei Carlines Mohrs Tweet ging es um die Demonstrationen von Chemnitz Anfang September: Ihre klare Stellungnahme und gleichzeitige Kritik an der Berichterstattung großer Medien wurde sehr positiv aufgenommen.
Sie erklärt: „Ich habe noch einmal aufgegriffen, was Sascha Lobo ziemlich genau schon so bei der Republica gesagt hat. Das war mir wichtig noch einmal hervorzuheben, denn viele Medien sprachen bei der Demo in Chemnitz von ‘linken Demonstranten’. Die waren da sicher auch, aber die ganze Idee hinter dieser Aktion war ja, gegen Rechtsradikale zu sein, was nicht zwingend links bedeutet. Da waren auch Leute von der FDP, der CDU usw., die relativ unverdächtig sind, linke Demonstranten zu sein…!“
Menschen, die sich den Neonazis in #Chemniz entgegenstellen, sind nicht zwingend „linke Demonstranten“. Das Gegenteil von rechtsradikal ist nicht links. Das Gegenteil von rechtsradikal ist: nicht rechtsradikal.
— Carline Mohr (@Mohrenpost) 27. August 2018
3. Robert Habeck, Politiker und Vorstandsvorsitzender Die Grünen (45.100 Follower): Tagesaktuell und schnell kommentieren
Wäre ich noch an der Uni, hätte ich große Lust, das Thema „Polit-Gezwitscher: Der politische Diskurs auf und in Zeiten von Twitter & Co“ als Masterarbeit zu übernehmen. Natürlich denkt man sofort an Trump und seine einbahnstraßenartigen Twitter-Fanfaren. Doch auch in Deutschland sind inzwischen viele Politiker auf Twitter unterwegs – im Gegensatz zu Trump jedoch die Dialogfunktion des Mediums nutzend.
Hier ist es vor allem die Schnelllebigkeit, die Twitter auszeichnet. Es ist eine gute Möglichkeit, den eigenen Standpunkt zu einem aktuellen Geschehnis schnell und unkompliziert zu verbreiten.
Robert Habeck nutzte die digitale Bühne, um auf die Meldung über Gaulands „Vogelschiss“-Zitat zu reagieren.
Der Grünen-Vorsitzende nahm diese auf, retweetete sie von einer externen Quelle – so war der Kontext seines Kommentars für alle noch einmal ersichtlich – und bezog mit deutlichen Worten Stellung zur AfD.
Die AfD hat das Ziel, die deutsche Demokratie zu entkernen. Dazu muss sie die deutsche Geschichte umschreiben. Deshalb sind Sätze wie die von Gauland keine Ausrutscher sondern System. Die Kurve der AfD von eurokritsich über ausländerfeindlich zu völkisch ist steil und abschüssig. https://t.co/WyXDMUqEGa
— RobertHabeck (@RobertHabeck) 2. Juni 2018
Fazit: der reichweitenstärkste Tweet für eine schnelle und klare Positionierung.
4. Frank Thelen, Investor (33.700 Follower): Sich den Nörglern entgegen stellen
Auf Twitter wird gern genörgelt, was das Zeug hält. Große Aufregung gab es über ein Interview, das Digitalministerin Dorothee Bär im Heute Journal gab. Sie sagte darin, dass es neben dem Ausbau des Breitbandnetzes auch andere, wichtige Pläne für sie gäbe und nannte unter anderem das Thema Flugtaxi.
Es hagelte daraufhin Spott und Kritik im Netz. Frank Thelen, der unter anderem in ein Start-up, das Flugtaxen entwickelt, investiert, sah Anlass, deutliche Worte gegen die Nörgler auszusprechen und auch einmal eine Lanze für eine Politikerin zu brechen. Herauskam: sein reichweitenstärkster Tweet.
Die Aufregung über #Flugtaxi von @DoroBaer zeigt unser Problem: Jetzt denkt ein Politiker weiter, leugnet aktuelle Probleme nicht und es hagelt dumme Kommentare. Wir wollen mit @Lilium einen Weltmarktführer aus Deutschland aufbauen. Auch Volocopter ist Innovation aus Deutschland
— Frank Thelen (@frank_thelen) 6. März 2018
5. Anja Amaranth, Studentin und Verkäuferin im Einzelhandel (12.600 Follower): Ein aufmerksames Auge
Immer wenn einem das ganze politische Hick-Hack, das Digitalisierungs- und Innovations-Geschacher oder der Deutsche-Bahn-Schimpf auf Twitter zu viel ist, sollte man sich mal Anjas Timeline anschauen.
Eine herrlich humane Welt, die irgendwie normal und in Ordnung ist – und zudem noch zum Schmunzeln anregt. Anja ist jedenfalls ein perfektes Beispiel dafür, wie man auch ohne jegliche Prominenz oder Besonderheit seinerselbst ein reichweitenstarkes Sprachrohr aufbaut.
Das Rezept: Eingemachtes – mit Witz gewürzt. Darum ging es zumindest in ihrem reichweitenstärksten Tweet. Anja geht stets mit offenem Ohr und wachem Auge sowie einem flotten Spruch auf den Lippen durch die Twitter-Welt. Kein Wunder, dass es so viele ebenso normale Menschen gibt, die ihr gern folgen.
Meine Mutter ist jederzeit auf die Apokalypse vorbereitet. pic.twitter.com/qc6VqGZYA2
— Anja (@AnjaAmaranth) 10. September 2018
6. Johannes Ceh, Kolumnist und selbstständiger Berater (19.500 Follower): Über neuen Content informieren
Twitter ist ein fantastisches Medium, um Personal Branding zu betreiben. Und gerade bei Selbstständigen wie Johannes (und mir!) ist ein wenig Selbst-Marketing unerlässlich. In seinem erfolgreichsten Tweet 2018 informierte er seine Follower über einen neuen Podcast, den er jüngst aufgenommen hatte.
Interessanterweise verzichtete er sogar auf das „Markieren“ (@.…) der Podcasterin Daniela Bessen und postete lediglich den Link – und bekam trotzdem eine gute Reichweite. Das Learning: frische Inhalte punkten!
?Daniela Bessen hat mit mir einen Podcast aufgenommen. Über Demut, Digitalisierung, Menschen und Werte ? >>> https://t.co/G6sGeIxGWc pic.twitter.com/55bGhQuYdE
— Johannes Ceh #ValueEnhancer (@johannesceh) 29. April 2018
7. Tijen Onaran, Gründerin Global Digital Women (9.506 Follower): Guten Lesestoff empfehlen und sich nicht davor scheuen, bekannte Persönlichkeiten zu taggen
Wer Tijen auf Twitter folgt, dem fällt schnell auf, dass sie viel liest und sehr gern gute Artikel weiterempfiehlt. So kam auch ihr reichweitenstärkster Tweet zustande. Sie postete den Link zu einem Interview mit Elon Musk und scheute sich nicht davor, diesen auch in den Tweet miteinzubeziehen.
Das Besondere: In diesem Fall antwortete er sogar darauf und bescherte ihr die Reichweite des Jahres.
Tijen kommentiert: „Das Ganze bekam eine erstaunliche Eigendynamik, die sich über mehrere Tage zog. So wurde der Tweet dann auch noch von der Times of India, Forbes und weiteren Medien aufgegriffen und kam auf knapp zwei Millionen Impressionen.“
„Female founders must constantly consider how they are perceived in both business and life, which creates a tension that doesn’t allow us to be fully vulnerable or transparent.“ #mymorningquote Must-read & great piece on @elonmusk‘s tears https://t.co/ZYfFGio6Hl
— Tijen Onaran (@TijenOnaran) 28. August 2018
8. Robert Franken, Digital-Berater (6.386 Follower): Sich trauen, auch mal scharf zu schießen
Twitter ist ein Streit-Medium. Es wird argumentiert, diskutiert, gemeckert – je nach Twitter-Nutzer auf unterschiedlichstem Niveau. Twitter gleicht oft einem digitalen Stammtisch. Und an die bisweilen scharfe Gangart muss man sich gewöhnen.
Auch Robert Franken nahm in diesem Beispiel kein Blatt vor den Mund und empörte sich über (noch) CSU-Chef Seehofer. Offensichtlich traf er damit den Nerv der Zeit. Beides gehört zum guten Handwerk erfolgreicher Twitter-Nutzer.
Sinn für ein gutes Timing und den Mut haben, seine Meinung auf der öffentlichen Bühne Twitter zu vertreten – was mitunter auch heißt, sich auf einen heftigen Diskurs einzulassen.
„Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.“
In dem Satz steckt der gesamte Wahnsinn, den Seehofer verkörpert: ein alter, arroganter Provinzgockel, der weder in Sachen Verantwortung, noch in den Bereichen Respekt, Moral oder Sachpolitik auch nur annähernd auf Höhe der Zeit ist.— Robert Franken (@herrfranken) 17. Juni 2018
9. Manuel Gerres, Geschäftsführer Deutsche Bahn Digital Ventures (5.317 Follower): Unternehmens-Neuigkeiten teilen
Jüngst hat der Artikel „Warum ein CEO nicht twittern sollte“ von Jürgen Braatz im PR-Report in der Kommunikationswelt für Furore gesorgt.
Er argumentiert darin, Geschäftsführer seien „grundsätzlich nicht im richtigen Verhalten auf Social Media geschult“ und sollten sich lieber mit den „primären Aufgaben“ – sprich Management des Unternehmens, nicht der Kommunikation – widmen.
Für diesen Standpunkt erntete der Autor vielerorts nur Kopfschütteln. Als Marken-Botschafter, der sein Unternehmen nach außen hin vertritt – so auch meine Meinung – sollten Führungskräfte eher dazu ermutigt (und angelernt) werden, über Twitter in den Dialog mit der Außenwelt zu treten.
Manuel Gerres Tweet ist ein schönes Beispiel für eine solche Botschafter-Funktion. Er teilt eine interessante Unternehmens-Neuigkeit, verzichtet dabei jedoch darauf, einen Link der Corporate-Website oder gar zur Pressemitteilung zu posten, sondern teilt einen neutralen Zeitungsartikel von Spiegel Online. Solide gepunktet!
Wir passen uns den (neuen) Kundenbedürfnissen an. Ab kommenden Jahr haben unsere Kunden die Möglichkeit Co-Working Spaces an Bahnhöfen zu nutzen. Bahnhof als Hub-Konzept nimmt immer weitere Formen an. https://t.co/k6WxgQUHuF
— Manuel Gerres (@ManuelGerres) 13. Oktober 2018
10. Der bloggende Bahner, Blogger und Podcaster (2.247 Follower): Sich spezialisieren
Ähnlich wie bei Manuel Gerres, nur aus einer ganz anderen Perspektive, dreht sich bei Tim Grams ebenfalls alles um die Welt der Deutschen Bahn – gefühlt eines der zehn Lieblingsthemen der deutschen Twitter-Gemeinschaft.
Auch dies ist eine Möglichkeit, einen guten Follower-Stamm aufzubauen: sich sehr spitz, in einem bestimmten Themenbereich – zum Beispiel Reisen, Film/Fernsehen (Tatort!), Bücher – positionieren.
So reichte dann auch bei Tim eine einfach formulierte, aber nicht unwichtige Warnung, um seine Follower anzusprechen. Da sich der Thread, also die Diskussion, noch länger hinzog und sich sogar die Bundespolizei Baden-Württemberg einschaltete, kam der Tweet auf eine stattliche Reichweite: Ziel erreicht!
Der Gleisbereich ist kein Fotostudio, Abenteuerspielplatz und Ort für Mutproben! ☝?⛔️ #wegvomgleis https://t.co/IV9TPpXpka
— Der bloggende Bahner (@bloggendebahner) 11. Juli 2018
11. Claudius Holler, Mädchen für alles, Video-Content-Agentur (9.525 Follower): Sprachliche Raffinesse
Wie schon bei Peter Wittkamp ein wunderbares Beispiel für eine gelungene Lustigmacherei – aus einer aktuellen Schlagzeile gekonnt umgesetzt. Tübingens Oberbürgermeister stand damals unter Beschuss, als es hieß, er habe einen Studenten bedrängt und angebrüllt.
Claudius Holler kombinierte die Debatte mit der Diskussion um den #Pegizei-Vorfall ein paar Monate zuvor in Dresden. Dank seiner sprachlichen Raffinesse wurde daraus sein reichweitenstärkster Tweet. Lern-Moment: Wort- und Sprachwitz sind bei der Twitter-Gemeinde gern gesehen.
Wie lustig #Palmer meets Deutschlandhut wäre.
„Höahn Sie auf mich zu filmen! Sie begehn einö Strofdohd!“
„Ich darf das, ich bin Leiter der Ortspolizeibehörde! Ich habe das Recht zur Personenkontrolle!“
„HÖAHN SIE AUF!“
„ICH DARF DAS!“
„STROFDOHD!“
„ORTSPOLIZEIBEHÖRDENLEITER!“— Feine Helene Fischerfilet (@C_Holler) 26. November 2018
Meine Lektion für erfolgreiche Tweets: Loben und ermutigen!
Ich bin mit meinen zwei Twitter-Jahren und 1.700 gesendeten Tweets im Vergleich zu meinen obigen Beispielen noch eher jungfräulich auf Twitter unterwegs. Bei meinem „Tweet 2018“ ging es um ein vermeintlich simples Thema: das Fahrradfahren.
Köln zeichnet sich nun gerade nicht durch seine guten Radwege aus und so fiel mir dieses Prachtexemplar von Fahrradweg sofort ins Auge. Ich fand, man müsste auf Twitter auch einmal loben!
Das Thema Radfahren ist nun, so stellte sich dann heraus, ähnlich wie die Deutsche Bahn eines, das großes Interesse erregt und ein Bereich, in dem viele Aktivisten auf Twitter unterwegs sind. So kam die Formel für meinen reichweitenstärksten Tweet zustande:
- Aufmerksames Auge für die Umwelt
- Foto posten
- Auch mal positiv sein
- Thema des öffentlichen Interesses
Bravo #Koeln – das nenne ich endlich mal einen ordentlichen Fahrradweg. Gern mehr davon! ??? #fahrrad #verkehr #stadtentwicklung#fahrradalltag pic.twitter.com/bly6rTgRxA
— Meike Neitz (@meikyworldwide) 19. November 2018
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Schaut man ganz genau hin, ist der Habeck-Kommentar eigentlich ziemlich nichtssagend und unbeweisbar – hat aber offentsichtlich einem breiten Bedürfnis nach Erklärung entsprochen. Ein Link zu einer Erklärung, was die wirklich wollen und warum, wäre nötiger als der zur Rede