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Diagnose: Digitalisierungsdefizit! Pandemie offenbart Deutschlands mittelalterliche Infrastruktur

Notizblock, Notizen, Stift, Papier, Bleistift
Digitalisierungssdefizit: Vielerorts wird immer noch mit Stift und Papier gearbeitet (Foto: Pixabay.com/ Monfocus)
geschrieben von Fabian Peters

Wir schreiben den 05. Februar 2021. Die für die Corona-Krise vollmundig als „schnell und unbürokratisch“ angekündigten November- und Dezemberhilfen wurden bis heute nicht vollumfänglich ausgezahlt. Von der Überbrückungshilfe III: keine Spur. Die Diagnose: Digitalisierungsdefizit!

Während einer Pressekonferenz am 18. Januar 2021 sprach Gesundheitsminister Jens Spahn über die Digitalisierungsangebote, mit denen der Bund die Gesundheitsämter unterstütze und verkündet: „Seit dem 01.01. erfolgen alle Meldungen der Labore an die Gesundheitsämter elektronisch; nicht mehr per Fax“. Erste Reaktion: Schock und Entsetzen.

Ein Schock und Entsetzen darüber, dass das Gesundheitssystem in Deutschland bis Ende 2020 noch mit mittelalterlichen Techniken wie Faxgeräten gearbeitet hat.

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist Deutschland die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Laut dem Digital Quality of Life Index 2020 des VPN-Dienstleisters Surfshark liegt Deutschland in puncto Digitalisierung jedoch nur auf Platz 16. In der Kategorie „Digitale Infrastruktur“ sogar nur auf Platz 23.

Ein Digitalisierungsdefizit, das vor allem im Kontext der Covid-19-Pandemie immer deutlicher wird. Überbrückungshilfen fließen nur schleppend. Software und Hardware fehlen an allen Ecken und Enden. Und die Kontaktverfolgung von Infektionsketten erfolgt vielerorts noch per Bleistift und Papier.

Kontaktverfolgung und Digitalisierungsdefizit in den Gesundheitsämter

Weil es keine einheitliche Software gab, mussten viele Gesundheitsämter und Labore während der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 noch mit Zettelwirtschaft und Faxgeräten arbeiten.

Um ansatzweise Herr der Lage zu werden, sind so unzählige Excel-Tabellen, Notlösungen und selbst programmierte Software-Programme entstanden. Dabei gibt es bereits seit sechs Jahren eine Software, die genau das kann: Management der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung.

Das Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System, kurz Sormas, wurde ursprünglich vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung im Zuge des Ebola-Ausbruchs 2014 in Westafrika entwickelt.

Seither hat man versäumt, die Software auch im deutschen Gesundheitssystem zu etablieren und entsprechend anzupassen. Erst jetzt, in Folge der Corona-Pandemie, wurde das Programm angepasst.

Doch da die Installation und Vernetzung der Software viel Zeit in Anspruch nimmt – Zeit, die die ohnehin schon überlasteten Ämter nicht haben – setzen sie weiterhin auf altbewährte Mittel. Lediglich rund ein Drittel der Gesundheitsämter in Deutschland nutzt bislang Sormas.

Seit fast einem Jahr hält die Bundesregierung an einer Inzidenz von 50 Infektionsfällen pro 100.000 Einwohner fest. Alles darüber hinaus können die zuständigen Stellen nicht mehr nachverfolgen. Eine technische Entwicklung, um mehr zu bewerkstelligen: Fehlanzeige!

Überbrückungshilfen: Pleiten, Pech und Pannen

Ende 2020 wurde Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nicht müde zu betonen, dass man die von der Pandemie betroffenen Unternehmen nicht im Stich lasse. Auch die Digitalisierung wolle man vorantreiben.

Gemeint sind die staatlichen Überbrückungshilfen für Solo-Selbständige und Unternehmen, die von der Schließung bedroht sind oder vor der Pleite stehen. Unbürokratisch und schnell solle es gehen. Doch die Realität spricht eine andere Sprache.

Kaum eine Spur von der von Finanzminister Olaf Scholz angekündigten „Bazooka“, beziehungsweise den finanziellen Hilfeleistungen mit „Wumms“. Doch woran hapert’s?

An bürokratischen Verfahren wie dem EU-Beihilferecht, das folgerichtig die Wettbewerbsverzerrung zwischen den EU-Staaten vorbeugen soll. In finanziellen Notsituationen bedeutet das jedoch vor allem eins: langwierige und bürokratische Prozesse.

Das mitunter größte Problem sind anhaltende Softwareprobleme sowie Versäumnisse bei der Softwareentwicklung. Bereits im Oktober 2020 wurde die Überbrückungshilfe III angekündigt. Doch erst jetzt startet die notwendige Softwareprogrammierung.

Natürlich müssen rechtliche Rahmenbedingungen und potenzielle Änderungen, wie die erst kürzlich vorgenommenen Erhöhungen und Vereinfachungen (löblich), in die Software und Formulare mit einfließen. Warum die digitale Infrastruktur jedoch nicht bereits vorab geschaffen wurde: fraglich.

Warum nicht auf bestehende Antragsportale wie die der November- und Dezemberhilfe oder zumindest deren Struktur zurückgegriffen wird: schleierhaft.

Digitalisierungsdefizit: Bürokratisch und langsam

Obwohl die Antragsstellung möglich ist, konnten viele Unternehmen die Novemberhilfe aufgrund von Softwareproblemen wochenlang nicht beantragen. Als es dann doch endlich geklappt hat, haben einige Antragssteller Bescheide über Abschlagszahlungen erhalten, die in US-Dollar ausgewiesen waren.

Im Februar 2021 wurde die Novemberhilfe immer noch nicht in vollem Umfang ausgezahlt. Mit der Auszahlung der Dezemberhilfe hat man gerade erst begonnen. Und die Überbrückungshilfe III, die einen Förderzeitraum von November 2020 bis Juni 2021 – für Solo-Selbstständige von Januar bis Juni 2021 – umfasst: kann immer noch nicht beantragt werden.

Von „unbürokratischen und schnellen“ Hilfen: keine Spur. Im Gegenteil! Die staatlichen Hilfeleistungen sind mitunter so bürokratisch und langsam, dass man in Berlin bereits über eine Überbrückungshilfe für die Überbrückungshilfe nachdenkt. Klingt absurd? Ist es auch.

Aufgrund der fehlenden Hilfen mussten einige Restaurants, Cafés, Bars und Friseure bereits für immer schließen. Will man verhindern, dass weiteren Unternehmen dieses Schicksal widerfährt, müssen Alternativen her.

Es kann nicht sein, dass bürokratische Hürden und digitale Versäumnisse das Schicksal und die Existenz von zahlreichen Unternehmen und Menschen bestimmen. Für diese Einsicht darf es nicht zu weiteren menschlichen Tragödien kommen. Doch die Wahrnehmung der politischen Entscheidungsträger und die Realität klaffen weit auseinander.

Das zeigt sich auch in den Schulen in Deutschland.

Brennpunkt Bildungssystem

Mindestens bis zum 14. Februar bleiben die Schulen geschlossen. Der Präsenzunterricht wurde ausgesetzt. Wie es danach weitergeht, ist unklar. Bis dahin stehen Home-Schooling und Videokonferenzen auf der Tagesordnung. Aber auch überlastete Server, fehlende Software und mittelalterliche Hardware.

Zwar haben Bund und Länder im Frühjahr 2019 mit dem Digitalpakt Schule ein 5,5 Milliarden Euro schweres Modernisierungsprogramm verabschiedet. Jedoch sind davon – Stand heute – lediglich 20 Prozent bewilligt.

Die Pandemie verdeutlicht, dass das Bildungssystem in puncto Digitalisierung erhebliche Rückstände aufweist. An allen Ecken und Enden fehlen technische Geräte, Lernprogramme, geschultes Personal, aber vor allem auch eine digitale Infrastruktur.

Zwar hat die Bundesregierung die bürokratischen Hürden bei der Bereitstellung von technische Equipment im Kontext der Pandemie herabgesetzt. Jedoch helfen technische Geräte nur dort, wo auch die nötige digitale Infrastruktur vorhanden ist.

Fehlende Lernsoftware und überlastete Server bestimmen aktuell den Schulalltag. Dabei ist das Digitalisierungsdefizit des deutschen Bildungssystems keineswegs eine neue Erkenntnis.

Im OECD-Ländervergleich und gemessen an den technischen Geräten pro Kopf, liegt Deutschland nur im unteren Drittel.

Die Versäumnisse liegen in der Vergangenheit; vor der Pandemie. Jetzt rächen sie sich.

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Über den Autor

Fabian Peters

Fabian Peters ist seit Januar 2022 Chefredakteur von BASIC thinking. Zuvor war er als Redakteur und freier Autor tätig. Er studierte Germanistik & Politikwissenschaft an der Universität Kassel (Bachelor) und Medienwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (Master).