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Cyborgs unter uns – Science Fiction ist schon längst Realität

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pexels.com/ Tara Winstead
geschrieben von Beatrice Bode

Der Begriff Cyborg ist ein Akronym und leitet sich vom englischen „cybernetic organism“ ab. Er beschreibt ein Mischwesen zwischen lebendigem Organismus und Maschine. Doch was nach SciFi-Film klingt, ist schon längst Realität.

Gelbe Hose, blaues Hemd, pinker Blazer: Diese Konstellation von Kleidungsstücken bildet das Outfit von Neil Harbisson. Er hat es für einen Auftritt bei TEDGlobal im Jahr 2012 ausgewählt. „Früher habe ich mich so angezogen, dass es gut aussieht. Jetzt kleide ich mich so, dass es gut klingt.“

Neil Harbisson bezeichnet sich selbst als Cyborg. Er hat seine eigenen Fähigkeiten durch technologische Implantate erweitert. Von Geburt an ist der 37-jährige Brite farbenblind. Er kann nur Graustufen wahrnehmen.

Im Jahr 2003 startete der Avantgarde-Künstler deshalb in Zusammenarbeit mit dem Computerwissenschaftler Adam Montandon und anderen Experten auf diesem Gebiet ein Projekt. Er nannte es sein „Electronic Eye“ – das elektronische Auge.

Cyborg-Antenne, die Farben hören kann

Dabei handelt es sich um eine Antenne auf seinem Kopf, die ihn die Farben seiner Umgebung hören lässt. Jeder Farbton ist einer monochromatischen Skala von 360 Tönen zugeordnet. Die Antenne scannt die Farben und übersetzt sie mit Hilfe von elektromagnetischer Strahlung, die sich wellenförmig ausbreitet.

Daraus ergeben sich einer oder mehrere Töne, die direkt in Harbissons Gehirn gesendet werden. Vom Schädelknochen werden die Töne dann weiter in sein Ohr geleitet. Wenn Harbisson nun in ein Museum geht, sieht er die Ausstellungsstücke nicht in Farbe – er hört sie.

Er vergleicht dieses Erlebnis mit einem Musikkonzert. Besonders amüsant sind für ihn Besuche im Supermarkt. In seinem TED-Talk vergleicht er diese mit einem Besuch im Nachtclub. „[Der Supermarkt] ist voller unterschiedlicher Melodien. Besonders die Abteilung mit den Reinigungsmitteln. Das ist einfach großartig.“

Im Jahr 2004 erkämpfte Neil Harbisson sich das Recht auch auf dem biometrischen Foto seines Reisepasses mit Antenne abgebildet zu werden. Er wurde somit der erste staatlich anerkannte Cyborg der Welt.

Wenn Technologie den Hörsinn heilt

Er ist vielleicht der erste, doch längst nicht der Einzige. Auch in Deutschland hat sich ein Mann in den Medien als Cyborg einen Namen gemacht: Enno Park. Der 47-Jährige hat sich eine Spirale mit 22 Elektroden implantieren lassen.

An der Außenseite seines Kopfes trägt er einen magnetischen Sender inklusive Mikrofon und Sprachprozessor. Dieser wandelt Geräusche um und schickt sie an die Spirale. Dort werden sie anschließend in elektrische Impulse umgewandelt, die durch die Nervenenden des Innenohrs Töne im Gehirn erzeugen.

Nötig wurde die Installation dieses Gerätes, weil Enno Park seit seinem 17. Lebensjahr so gut wie taub ist. Die Spätfolge einer Masernerkrankung raubte ihm seinen Gehörsinn. Mithilfe des „Cochlear Nucleus N5“ kann er nun wieder hören – und eigentlich sogar noch besser als vorher.

Verbesserte menschliche Fähigkeiten?

In einem Interview erklärte Park, dass er sein Gehör seiner Umgebung anpassen könne. In Kneipen und Clubs kann er zum Beispiel Töne, die nicht der menschlichen Sprache entsprechen, absenken. Das macht es für ihn leichter, Gesprächen zu folgen. Dabei kann er sogar besser hören als seine Gegenüber in ähnlichen Szenarien.

In anderen Situationen schaltet er sein Gehör einfach komplett ab. Zum Beispiel, um sich am Schreibtisch zu konzentrieren oder um in Ruhe zu schlafen. Für ihn ist das der Moment, in dem er von Mensch in Cyborg übergeht.

Neil Harbisson und Enno Park sind jedoch schon lange kein Novum mehr. Auch andere Menschen haben sich dafür entschieden, Körperteile ersetzen zu lassen oder angeborene Beeinträchtigungen auszubessern.

Cyborg-Celebrities sind keine Rarität

Kevin Warwick ist beispielsweise als „Captain Cyborg“ bekannt. Er experimentiert bereits seit 1998 mit verschiedenen elektronischen Implantaten. Zum Beispiel hat er sich einen Mikrochip in den Arm eingepflanzt, mit dem er Lampen, Heizungen und Computer fernsteuern kann.

Seine Mission ist es, der „kompletteste“ Cyborg der Welt zu werden. Jesse Sullivan wiederum hat bei einem Unfall beide Arme verloren und sie durch zwei Roboter-Prothesen ersetzen lassen. Sie sind mit seinen Nerven verbunden und werden durch sein Bewusstsein kontrolliert.

Wenn er also daran denkt, seinen Arm zu heben, kontrahieren verschiedene Muskeln in seiner Brust, welche von seiner Prothese interpretiert werden. Außerdem kann er Temperaturen fühlen. Bekannt ist er als „Bionic Man“. Der Finne Jerry Jalava wiederum verlor seinen linken Ringfinger bei einem Motorradunfall.

Er entschied sich gegen eine Prothese und lies sich anstelle des Fingers einen zwei Gigabyte USB-Stick implantieren. Beispiele wie diese gibt es viele. Menschen mit Chips in Armen, die in der Kantine bezahlen oder implantierte Magnete in den Fingern, um den normalen Tastsinn zu erweitern. Das Interesse der Weiterentwicklung bisheriger Technologien ist ungebrochen.

Die Zukunft der Cyborg-Technologie

Multimilliardär Elon Musk forscht beispielsweise mit seinem Unternehmen Neuralink an Chips, die ins Gehirn eingesetzt werden. In seiner Vision wird es eines Tages möglich sein, Erinnerungen als Back-Up zu speichern oder sogar in andere Körper oder Medien zu übertragen.

Und auch Neil Harbisson und Enno Park denken in die Zukunft. Harbisson hat sein Farbspektrum bereits auf Ultraviolett und Infrarot ausgeweitet. Außerdem forscht er an einer neuen Erfindung: einem Metallhalsband, mit dem die Stunden des Tages am Hals spürbar werden. Er erhofft sich, dass er die Wahrnehmung der Zeit per App verändern kann.

Enno Park wiederum würde seine Spirale gern so programmieren, dass er auch Ultraschall hören kann. Für Neil Harbisson und Enno Park bringt die Erweiterung ihrer ursprünglichen körperlichen Fähigkeiten und Sinne eine Verbesserung ihrer Lebensqualität mit sich.

Dass sie selbst danach streben, ihre eigenen technischen Alternationen weiterzuentwickeln entspricht wohl auch ihrem Sinn nach existenzieller Veränderung. Die Frage, die es in Zukunft noch zu beantworten gilt, lautet allerdings, ob es Grenzen gibt, die nicht überschritten werden sollten.

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Über den Autor

Beatrice Bode

Beatrice ist Multi-Media-Profi. Ihr Studium der Kommunikations - und Medienwissenschaften führte sie über Umwege zum Regionalsender Leipzig Fernsehen, wo sie als CvD, Moderatorin und VJ ihre TV-Karriere begann. Mittlerweile hat sie allerdings ihre Sachen gepackt und reist von Land zu Land. Von unterwegs schreibt sie als Autorin für BASIC thinking.