Marketing Wirtschaft

Aus Twitter wird X: „Einfach dilettantisch“ – Im Interview: Karsten Kilian

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Rudolf Wichert
geschrieben von Fabian Peters

Twitter hat ein neues Logo, denn der Kurznachrichtendienst soll künftig offenbar „X“ heißen. Doch die Namensänderung und das Rebranding wirken kurios und „einfach dilettantisch“, findet Marketing- und Markenexperte Karsten Kilian – alias Mr. Marke. Ein Interview. 

BASIC thinking: Herr Kilian, im Vorfeld unseres Gesprächs haben Sie bereits durchblicken lassen, dass Sie das Rebranding von Twitter interessiert, aber auch irritiert. Wie genau meinen Sie das?

Karsten Kilian: Twitter ist eine sehr bekannte und beliebte Marke mit der Tendenz zur Polarisierung. Jetzt ohne eine erkennbare positive Veränderung der App stellt sich die Frage, ob die Umbenennung überhaupt notwendig und der Zeitpunkt passend war. Außerdem: Ist der neue Name X überhaupt geeignet?


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Twitter: Ist der Buchstabe „X“ als Name und Logo geeignet?

Ist er es? 

Vor unserem Gespräch bin ich das Alphabet durchgegangen und habe mich gefragt: Welche Marke gibt es eigentlich, die nur aus einem Buchstaben besteht? Mir ist spontan keine eingefallen. Ein Buchstabe ist einfach zu wenig, um sich zu differenzieren.

Außerdem ist das X in der Mathematik etabliert und hat sehr viele andere Bedeutungen. Diesen Buchstaben nun als Marke monopolisieren zu wollen, wird schon markentechnisch nicht gehen, weil man „X“ als Wortmarke nicht schützen lassen kann.

Man kann höchstens versuchen, die Wort-Bildmarke „X“ schützen zu lassen, was aber nur einen relativ schwachen Schutz darstellen würde. Einen einzigen Buchstaben als Marke zu etablieren ist deshalb nicht sinnvoll.

Bei einem Logo kann man das durchaus machen. Beispielsweise hat die Marke Adobe ein markantes „A“ als Logo und Zurich nutzte bis vor gut einem Jahr ein markantes „Z“. Damit das bei Twitter funktioniert, hätte Elon Musk seine Marke aber zum Beispiel „TwitteX“ nennen müssen.

Dann hätte er an Bestehendes anknüpfen und trotzdem sein Faible für das „X“ ausleben können. Ich persönlich hätte Twitter weiter bestehen lassen und eine zweite Marke für die neue „App für alles“, inspiriert von WeChat in China aufgebaut.

Rebranding von Twitter: „Das Timing ist schlecht“

Abgesehen von einer Nacht-und-Nebel-Aktion, seit der nun das „X“ als neues Logo präsentiert wird, hat sich bislang nicht viel geändert. An anderen Stellen sind sogar noch das „alte“ Logo und der „alte“ Name sichtbar. Wie beurteilen Sie das?

Das Timing ist schlecht. Man hätte mit der Namens- und Logoänderung einen neuen Ansatz präsentieren können – und sollen. Das wäre eine echte Chance für einen Neuanfang gewesen. Jetzt aber erst einmal nur den Namen zu ändern, um in ein paar Wochen oder Monaten vielleicht grundlegende Änderungen an der App vorzunehmen, ist marketingstrategisch – freundlich ausgedrückt – suboptimal.

Die Marke Twitter ist bereits etabliert. Verspielt man mit einer Umbenennung nicht Bekanntheit und Vertrauen?

Die Bekanntheit geht nicht unbedingt verloren, denn das Internet ist voll von Nachrichten über diesen kuriosen Namenswechsel. Wenn man diese Energie genutzt hätte, um etwas Neues zu präsentieren und zu etablieren, dann wäre das echt clever gewesen.

Wie es aber de facto gelaufen ist, ist eher ungeschickt. Da geht auch Vertrauen verloren. Der Markenname in Kombination mit dem Vogel-Logo war nämlich eine richtig clevere Markenkombination, ähnlich wie bei Apple. Es hat sich sogar das Verb „tweeten“ etabliert. Mehr geht kaum. Deshalb muss man hier konstatieren, dass ein Teil des Markenwertes mutwillig zerstört wurde.

Elon Musk  ist „ein Meister des Ankündigens und des Erhaschens von Aufmerksamkeit“

Sie haben die mediale Aufmerksamkeit bereist angesprochen: Könnte das Strategie gewesen sein?

Elon Musk ist dafür bekannt, dass er jede Woche irgendwas bekannt gibt. Das macht er bei Tesla, der Boring Company und SpaceX schon seit vielen Jahren so. Er ist ein Meister des Ankündigens und des Erhaschens von Aufmerksamkeit. Aber irgendwann ist dieser Bogen überspannt. Das sieht man beispielsweise bei Tesla mit dem autonomen Fahren.

Vor Kurzem hat nun Tesla angekündigt, klassische Werbung machen zu wollen, ja zu müssen, weil der Neuheitseffekt, der die PR trägt, nicht mehr funktioniert. Deshalb glaube ich auch, dass Elon Musk immer mehr zu einem neuzeitlichen Ikarus wird. Er ist hoch geflogen, aber mittlerweile der Elefant im Porzellanladen und geht bei Twitter nicht unbedingt geschickt vor. Er könnte deshalb bald zum „Ixarus“ werden: X und vorbei.

Wie gesagt: Es wäre deutlich klüger gewesen, mit dem Namenswechsel etwas Neues zu präsentieren. Auch hätte man Twitter beibehalten und eine neue App mit eingängigem Namen ergänzend etablieren können. Dann wäre die Story rund gewesen. So ist sie eckig.

Twitter alias X: Elon Musk lässt ein Momentum verstreichen

Das neue Logo basiert offenbar auf einer marginalen Abwandlung einer frei verfügbaren Schriftart. Wie geht es mit Twitter alias X nun weiter?

Wir wissen mittlerweile fast alle, dass Twitter jetzt wohl „X“ heißen soll, wenngleich auf der Website nach wie vor neben dem Logo X der Name Twitter im Halbsatz „Bei Twitter anmelden“ genannt wird. Besser wäre es, wenn der Grund für die Namensänderung jetzt schon sichtbar und erlebbar wäre.

Elon Musk hat dieses Momentum ungenutzt verstreichen lassen. Die mediale Energie ist sinnlos verpufft, die ein Namenswechsel in sich trägt – und diesen normalerweise auch begründet. Was gerade bei Twitter passiert ist, ist einfach dilettantisch.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Über den Autor

Fabian Peters

Fabian Peters ist seit Januar 2022 Chefredakteur von BASIC thinking. Zuvor war er als Redakteur und freier Autor tätig. Er studierte Germanistik & Politikwissenschaft an der Universität Kassel (Bachelor) und Medienwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (Master).

1 Kommentar

  • Danke Karsten Kilian für die klaren Worte. So eine Markenwertvernichtung kann sich nur ein Milliardär leisten. Nicht einmal die Strategie «Abbrechen mit der gesamten Heritage von Twitter» geht auf. Die ganz Welt weiss, dass auch wenn neu X draufsteht, als Kern Twitter drin bleibt. Aber das ist ihm wohl vollkommen egal. Da wird eine starke, rund um den Globus bekannte, sehr schön gestaltete und hoch emotionalisierte, einzigARTige, mehrere hundert Millionen US-Dollar schwere Marke mit einem im wahrsten Sinne des Wortes X-beliebigen Begriff ersetzt – und niemand konnte ihn stoppen. Er schreibt die Marke einfach ab, kann diesen gigantischen Verlust locker tragen und in den Aufbau der neuen Marke erst noch sehr viel investieren. Fazit: Twitter wird definitiv Kult werden und bleiben. X bleibt „X-öppis“ (Schweizer Mundart für „X-etwas“). Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was eine starke Marke auszeichnet: Differenzierung und Einzigartigkeit. Oder ganz einfach: „The difference between billionaires and boys ist the price of there toys.“