Technologie

Radnabenmotor: Zukunftstechnologie oder Physikbaukasten? Im Interview: Martin Doppelbauer

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geschrieben von Fabian Peters

Der Radnabenmotor erlebt derzeit ein kleines Comeback – vor allem in den Medien. Denn ein deutsches Start-up will die über 100 Jahre alte Technologie, an der bereits viele gescheitert sind, weiterentwickelt haben und massentauglich machen. Kann das funktionieren? Im Interview: Martin Doppelbauer, Professor für Elektrotechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Was ist ein Radnabenmotor?

Ein Radnabenmotor ist ein Motor, der direkt in das Rad oder die Räder eines Fahrzeuges integriert wird. Im Gegenteil zu klassischen Motoren spricht man deshalb auch von einem dezentralen Antriebssystem. Ein Rad mit Radnabenmotor vereint einen Elektorantrieb und mechanische Bremsen – teilweise kommt noch Leistungselektronik hinzu.

Aufgrund der dezentralen Anordnung im Rad werden eine klassische Antriebswelle und ein Getriebe überflüssig. Viele namhafte Unternehmen erhofften sich deshalb Anfang der 2000-er, also weit über 100 Jahre nach der Entwicklung des ersten Radnabenmotors, ihre Fahrzeuge effizienter gestalten zu können. Doch sie alle sind gescheitert.


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Das bayerische Start-up DeepDrive hat sich in den vergangenen Jahren erneut mit der Technologie beschäftigt und will den Radnabenmotor massentauglich gemacht haben. BMW und Reifenhersteller Continental haben Millionen in das Unternehmen investiert. Doch wie viel Innovation steckt wirklich dahinter?

Das haben wir Martin Doppelbauer, Professor für hybridelektrische Fahrzeuge am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Bereichsleiter am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT), gefragt.

Der erste Radnabenmotor

BASIC thinking: Hallo Herr Doppelbauer, im Jahr 1900 hat Ferdinand Porsche auf der Weltausstellung in Paris mit dem Lohner-Porscher ein Elektroauto mit einem Radnabenmotor präsentiert. Die Technologie konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Dann wurde es fast 100 Jahre lang still um sie. Warum?

Weil es eine bessere Alternative gibt und gab. Nämlich: den Zentralmotor. Wenn man sich die Technik des Radnabenmotors genauer anschaut, gibt es zwei Herausforderungen. Die eine ist die Integration in das Rad und die andere ist die Elektromagnetik.

Bei der Integration ins Rad steht man vor der Herausforderung der ungefederten Masse, die das Fahrverhalten relativ schlecht macht. Da spielt die Hitze der Bremsen, aber spielen auch Umweltbedingungen wie Eis und Schnee eine Rolle, denen der Motor ausgesetzt ist.

Außerdem gibt es im Rad unheimlich wenig Platz. Man muss die Bremsen unterbringen, man muss einen Motor unterbringen und: Man muss ein Kühlsystem unterbringen. Es gibt sogar einige Radabenmotoren, die die Elektronik unterbringen. Das wundert mich, denn: Elektronik und starke Vibrationen vertragen sich eigentlich nicht.

Andererseits gibt es die Elektromagnetik. Aus Drehmoment und Drehzahl kann man Leistung erzeugen. Ein Verbrennungsmotor kann beispielsweise gut Drehmoment aber eher schlecht Drehzahl erzeugen. Das liegt vor allem am Auf und Ab der Kurbelwelle. Das heißt: Der Verbrennungsmotor bezieht seine Leistung vor allem aus dem Drehmoment.

Beim Elektromotor ist es genau andersherum. Denn der Elektromotor kann gut Drehzahl. Es dreht sich eine Walze, es gibt zwei Lager und eine Welle – und das war es. Das heißt, dass Elektromotoren bei Höchstleistung um die 20.000 Umdrehungen pro Minute machen können.

Beim Radnabenmotor geht das nicht, da er nur so schnell drehen kann wie das Rad. Je nach Größe sind das ungefähr 1.500 Umdrehungen pro Minute – also maximal ein Zehntel. Für die gleiche Leistung benötigt man also zehnmal mehr Drehmoment. Das funktioniert aber nur mit sehr viel Strom und der entsprechenden Leistungselektronik.

Siemens, Schäffler, VW und Co: Alle sind gescheitert

Seit Anfang der 2000-er erlebt der Radnabenmotor ein kleines Comeback – vor allem weil Elektroautos deutlich effizienter und relevanter geworden sind. Honda, Siemens, Schäffler, Volkswagen und Ford haben sich an der Technologie probiert. Warum investieren so viele namhafte Unternehmen in eine Technologie, die offenbar zum Scheitern verurteilt ist?

Ich glaube, der Reiz daran ist und war es zu sagen, dass man viel mehr Platz im Auto hat, wenn der klassische Motor raus ist. Doch das trifft eigentlich nur auf den Verbrennungsmotor zu, da der wirklich viel Platz verbraucht. Aber das ist bei Elektroautos eigentlich gar nicht mehr der Fall.

Elektromotoren sind viel kleiner als Verbrennungsmotoren. Wenn man es gut macht, ist der E-Motor sogar um die Achse herumgebaut – da gibt es bereits einige Konzeptfahrzeuge. Und wenn man den rausdesignt, dann entspricht der Platzgewinn allenfalls dem eines zehn Liter Eimers.

Trotzdem haben sich viele Unternehmen an einem Radnabenmotor versucht. Doch man muss es sagen, wie es ist: Alle sind gescheitert – ohne Ausnahme. Es gibt bislang auch kein einziges Serienfahrzeug mit Radnabenmotor. Meine persönliche Prognose: Das wird man auch nicht im großen Maßstab sehen.

Der Radnabenmotor von DeepDrive

Seit Kurzem sorgt das deutsche Start-up DeepDrive für Schlagzeilen. Das Unternehmen will einem Radnabenmotor entwickelt haben, der effizienter und günstiger sein soll als je zuvor. Als Gründe werden ein Doppelrotor-Prinzip, der weitestgehende Verzicht auf seltene Erden und weniger Magnetmaterial genannt. Wie realistisch klingt das für Sie?

Das Doppelrotor-Prinzip gibt es schon länger. DeepDrive scheint das auch gut umgesetzte zu haben. Allerdings erfährt man auf der Website nicht wirklich viel, was entscheidend wäre.

Die Wirkungsgrade scheinen gut zu sein, aber nicht wesentlich besser, als man es von Zentralmotoren kennt. Am Institut haben wir deshalb das Gewicht eines Zentralmotors so ausgelegt, dass es dem von zweien dieser Radabenmotoren entspricht. Die Wirkungsgrade sind dabei ähnlich.

Aber dass zwei Radnabenmotoren effektiver sein sollen, würde ich nicht unterstützen. Denn das große Problem bei diesen Direktantrieben ist: Wenn man das Drehmoment über die Ströme anstatt über das Getriebe umsetzen muss, bekommt man Probleme mit dem Wirkungsgrad – vor allem bei niedrigen Drehzahlen.

Überrascht hat mich außerdem die Aussage, dass der Motor weniger Magnetmaterial brauchen soll. Selbst wenn das stimmt, braucht man immer noch eine relativ große Masse an Permanentmagneten – zumal man auch zwei Rotoren in einem Motor und außerdem mehrere Motoren hat.

Der Radnabenmotor wird keine Revolution auslösen

BMW investiert seit 2021 in das Start-up. Continental stellt die Bremsen. Warum investieren immer noch Unternehmen in diese Technologie? 

Ich könnte mir vorstellen, dass das für Sonderanfertigungen durchaus interessante sein könnte. Vielleicht will man eine ähnliche Technologie beispielsweise in einem Motorrad ausprobieren. Das könnte ich mir vorstellen, da das Platzproblem dort eine andere Rolle spielt.

In vielen Medien liest man bezüglich des Radnabenmotors von DeepDrive von einer „Revolution“, einem „Durchbruch oder „Meilenstein“.

Da geht es ausschließlich um Aufmerksamkeit. Es ist natürlich keine Revolution. Eine Massenproduktion im Pkw-Segment kann ich mir nicht vorstellen.

Ungefederte Masse

Stichwort „Ungefederte Masse“: Der Radnabenmotor von DeepDrive soll rund 32 Kilogramm wiegen. Welchen Einfluss hat das Gewicht eines Radnabenmotors auf das Fahrverhalten?

Das kann ich allenfalls pauschal beantworten, da wenige Details bekannt sind. Man geht aber ungefähr vom Faktor zehn aus – bezüglich Fahrzeugmasse zur ungefederten Masse.

Das heißt: Wenn man zwei Radnabenmotoren mit circa jeweils 30 Kilogramm hat, kann man grob sagen, dass das ungefähr 600 Kilogramm mehr Gewicht im Fahrzeug entspricht – bezüglich des Fahrverhaltens.

Was mir aber grundsätzlich noch wichtig ist: Im E-Autobereich herrscht momentan ein starker Wettbewerb. China setzt beispielsweise auf klassische E-Antriebe. Bei den Neuzulassungen machen Elektroautos dort fast 50 Prozent aus.

Als Europäer und Deutsche tun wir deshalb gut daran, neue Technologien zu entwickeln. Dabei muss nicht einmal von vorne herein klar sein, ob man sie braucht oder ob sie perfekt sind. Und unter dem Aspekt bin ich glücklich, dass es Unternehmen wie DeepDrive gibt, die sich einfach mal etwas trauen und ausprobieren.

Gibt es konkrete Vorteile, die ein Radnabenmotor haben kann?

Es gibt das sogenannte Torque Vectoring. Das heißt: Wenn ich zwei Radnabenantriebe habe und durch eine Kurve fahre, dann kann ich im Kurveninneren etwas langsamer drehen lassen und im Kurvenäußeren etwas schneller. Dadurch lässt sich das Fahrverhalten verbessern.

Darum hat der Radnabenmotor keine Zukunft

Unterm Strich: Warum wird sich ein Radnabenmotor in der Massenproduktion bei Pkw trotzdem nicht durchsetzen und lohnen?

Zum einen aufgrund von mechanischen Problemen: Thermik, ungefederte Masse, Integration in das Rad und Bauraum. Zum anderen aufgrund von elektromagnetischen Schwierigkeiten. Das heißt: Man muss eine Leistung über das Drehmoment machen, anstatt über die Drehzahl.

Das erfordert viele Permanentmagneten, ist aufwendig, teuer und hat Grenzen in der Effizienz. Die Platzersparnis gleicht sich beim Elektromotor, der viel kleiner ist als ein Verbrennungsmotor, quasi aus.

Denn man muss zu jedem Motor Schläuche legen – und zwar hin und zurück. Dafür braucht man einen zentralen Verteiler und außerdem Kommunikationselemente. Wenn ein Motor ausfällt, muss nämlich sofort der andere Motor stoppen. Ansonsten bekommt man einseitige Drehmomente und fliegt beispielsweise von der Autobahn.

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Über den Autor

Fabian Peters

Fabian Peters ist seit Januar 2022 Chefredakteur von BASIC thinking. Zuvor war er als Redakteur und freier Autor tätig. Er studierte Germanistik & Politikwissenschaft an der Universität Kassel (Bachelor) und Medienwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (Master).

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