Jedes Jahr wird das Unwort des Jahres gewählt. Mit „betriebsratsverseucht“ hat man da eine eher merkwürdige Wahl getroffen. Wie wir später sehen werden, hätten einige Medienvertreter vielleicht auch gerne ein anderes Wörtchen an dieser Stelle gesehen, nämlich „App“ oder „Applikation“. Als ich vor etwa zwei Jahren angefangen habe zu bloggen, musste man den Begriff „App“ eigentlich der breiten Masse jedes Mal erklären. Niemand in meinem netzabseitigen Bekanntenkreis wusste, was das sein könnte. Mittlerweile hat sich das grundlegend geändert und niemand horcht mehr wirklich auf, wenn wieder Mal ein Mobilfunkanbieter Werbung damit macht, dass man beispielsweise eine Facebook-App an Bord hat und unlängst hat ja auch der Springer-Verlag mit seiner Bild-App dafür gesorgt („Bild geht App!“), dass sich nun die ganz breite Masse damit auseinandersetzt.
Nicht ganz unschuldig an der Popularität dieser schönen, kleinen und oft wirklich nützlichen Anwendungen ist Apple. Es war das iPhone mit seinem App-Store, das den Begriff letztendlich in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt hat. Während sich Apple zu Recht für viele Produkte, Anwendungen und Design-Ideen feiern lassen kann, bläst einem doch des öfteren ein harter Wind entgegen, wenn es um die Politik geht, die das Unternehmen aus Cupertino sowohl beim App-Store als auch bei iTunes fährt.
Ein mächtiger Mitstreiter im App-Business ist Apple – neben Google – nun mit Amazon herangewachsen. Ähnliche Politik, ähnliche Einschränkungen, ähnliche Gewinnspanne – der angekündigte App-Store, der die diversen Versionen des Kindle unterstützen wird, erinnert nicht nur Experten an das Apple-Angebot. Das ruft natürlich auch Kritiker auf den Plan. Kritik kann konstruktiv sein, den Finger in die Wunde legen und über Missstände aufklären.
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Kritik kann aber auch so sein, wie sie Christian Stöcker für den Spiegel formuliert: destruktiv, einseitig und am Kern des Problems vorbei. Dass wir es hier nicht mit einem Advertorial zugunsten des Apple- oder Amazon-App-Stores zu tun haben, wird schon in der Einleitung klar:
Der App-Wahn ist eine paradoxe, schädliche Entwicklung. Er würgt Innovationen ab – und verschafft den Konzernen noch mehr Macht.
Aha. Wenn ich – als Unternehmen – möglichst versucht bin, erfolgreich zu wirtschaften (also mehr Macht zu erlangen), dann brauche ich mir das vermutlich nicht vorwerfen zu lassen, oder? Stöcker berichtet vom Paradoxon, dass ein iPhone (was per Stöcker-Definition ein „kastrierter Computer“ sei) viel weniger kann, als ein herkömmlicher Desktop-Rechner. Mir fehlt gerade der nötige Schuss Polemik, um dem iPhone das fehlende Bluray-Laufwerk oder die geringe Anzahl der Anschlüsse vorzuwerfen.
Schadensanalyse von Apps am Beispiel der Bild-App
Des weiteren redet er von einer „schädlichen“ Entwicklung. Wer genau nimmt denn da Schaden? Nehmen wir direkt das bereits oben erwähnte Beispiel mit der Bild-App: Das Bild-Programm versorgt – wie jede kostenpflichtige Anwendung – sowohl Apple (30% von 3,99 Euro) als auch den Springer-Verlag (70% von 3,99 Euro) mit Einnahmen. Hier kann also von Schaden nun wirklich nicht die Rede sein.
Wie sieht das aus Verbraucher-Sicht aus? Ich zahle 3,99 Euro monatlich für eine App, die mir die Ausgabe des nächsten Tages bereits am Vorabend als PDF-Datei zur Verfügung stellt. Kaufe ich stattdessen die Papier-Ausgabe sechs mal in der Woche, komme ich (22 mal 0,60 Euro) auf über 13 Euro. Finanziell nehme ich also schon mal keinen Schaden. Fehlende Haptik, das kleinere Format etc. sind vermutlich Fragen des Geschmacks und lassen sich ebenfalls nicht als „schädlich“ für den Nutzer bewerten. Ich persönlich fände es vermutlich eher entspannend, auf mein iPhone-Display statt in die großformatige Papier-Ausgabe zu schauen, während ich morgens in der reichlich gefüllten Bahn sitze oder stehe. Dazu kommen technische Schmankerln, die ich bei einer klassischen Zeitung logischerweise nicht hab, wie beispielsweise kostenlose Push-Meldungen, wenn Eilmeldungen vom Ticker laufen.
Ihr seht – ein wirklicher Schaden ist weder für den Verlag, noch für Apple oder den Nutzer festzustellen. Papier-Romantiker könnten jetzt höchstens den Zeitungsverkäufer oder in der Druckerei als Gegenargument anbringen, aber das hat eher was mit Fortschritt denn mit Apps zu tun. Da stufe ich eher die Sturheit der Verleger als schädlich ein.
Mehr statt weniger Innovation
Für Christian Stöcker steht fest, dass sich die Bösen in diesem Spiel – Apple und Amazon – mit Apps die eigenen Taschen richtig voll machen und zudem die Innovationen durch ihre Geschäftsmodelle beschneiden. Zu diesen Gewinnen hat Kollege André im vergangenen Jahr einen sehr schönen Artikel geschrieben, der verdeutlicht, wie „groß“ dieses Zubrot tatsächlich ist, verglichen mit den anderen Einnahmen dieser beiden Unternehmen. Dort ist nämlich unter anderem zu lesen, womit Apple tatsächlich sein Geld verdient: Trotz der Jahre des „App-Wahns“ steht unangefochten noch immer die Hardware im Vordergrund. Das macht auch Sinn, denn in diesem Bereich ist man seit Jahrzehnten erfolgreich tätig. Es scheint also gar nicht so zu sein, dass man sich mit dem Vertrieb von Applikationen gesundstoßen möchte und Ähnliches gilt auch für den Amazon-App-Store.
Da Herr Stöcker sehr gerne ein Paradoxon im Erfolg der Applikationen sehen möchte, habe ich mich natürlich gründlich auf die Suche gemacht und finde das einzige Paradoxon in seiner Behauptung, dass Apps die Innovation bremsen oder gar stoppen. Wieso sind Produkte weniger innovativ, wenn sich statt dem einzelnen Hardware-Hersteller unzählige professionelle Software-Entwickler damit auseinandersetzen? Mit Sicherheit gibt es den ein oder anderen Fall, in dem nicht wirklich nachzuvollziehen ist, wieso eine App nicht angeboten werden darf und über den Sinn manch anderer, zugelassener App lässt sich ebenfalls vortrefflich streiten. Aber unter dem Strich stehen Zehntausende verschiedene Applikationen für iPhone und iPod Touch bereit – eine Zahl, die vermutlich ungleich höher ist, als wenn sich Apple selbst und ausschließlich an die Arbeit begeben hätte.
Nicht von ungefähr gibt es viele Beispiele dafür, dass Apple für sein iPhone etwas als Standard erhoben hat, was vorher den Nutzern nur per Applikation möglich war. Oder es wird eine Funktion ermöglicht, die von Haus aus auf dem iPhone nicht verfügbar ist, so wie aktuell die Möglichkeit, auch älteren Modellen allein mittels Software eine Videofunktion zu verpassen, indem einfach schnell hintereinander Fotos geschossen werden. Die Liste der nützlichen und unterhaltsamen Applikationen ließe sich endlos fortsetzen – und je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger verstehe ich die Intention des Spiegel-Autors.
Wie steht ihr dazu? Fühlt ihr euch auch Apple, Amazon und Co. ausgeliefert und sehnt eine „Flucht aus App-solom“ herbei, oder fühlt ihr euch pudelwohl in diesem endlosen Meer an Applikationen, in welchem sich jeder seine persönlichen Perlen raussuchen kann?
(Carsten Drees)