Technologie

Digitale Justiz: Die Anwaltschaft auf dem Weg ins 21. Jahrhundert

Anwalt Justiz
geschrieben von Boris Burow

Nach dem wir uns vor zwei Wochen mit der Fragen beschäftigt haben, warum die Gerichte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden können, erste mediale Schritte zu gehen und eine Urteilsberichterstattung in Form von Videoaufnahmen zuzulassen, widmen wir uns heute den Rechtsanwälten in Deutschland.

Während Unternehmen sich heutzutage mit der Frage auseinandersetzen, ob sie ihre Kunden besser per WhatsApp oder sogar per Snapchat erreichen, sind die Rechtsanwälte in Deutschland immer noch damit beschäftigt, Schriftsätze an Gerichte und gegnerische Kollegen per Fax zu versenden. Dies nehme ich heute einmal zum Anlass, über ein IT-Projekt in der Anwaltschaft zu berichten, welches den digitalen Datenaustausch zwischen Anwälten untereinander und mit den Gerichten ermöglichen soll.

Es ist vom Grundsatz her nicht verwunderlich, dass Rechtsanwälte nicht jede moderne Kommunikationsform sofort übernehmen können. Dies liegt vor allen Dingen daran, dass es eine Verpflichtung gibt, Stillschweigen über das Mandatsverhältnis und auch die Kommunikation mit dem Mandanten zu bewahren. Daher ist es natürlich wichtig, dass die Kommunikationsmittel, die ein Rechtsanwalt benutzt entsprechend auch dieser Geheimhaltungspflicht genügen.

Zwar kann der Mandant den Rechtsanwalt von dieser Geheimhaltungspflicht auch entbinden; an eine solche Entbindung werden aber hohe Hürden gestellt. Zu Verdeutlichung zwei Beispiele, die zeigen wie hoch diese Geheimhaltungspflicht der Rechtsanwälte zu hängen ist. Der Rechtsanwalt darf keine Informationen aus dem Mandatsverhältnis an Dritte weitergeben, er darf nicht einmal dazu Stellung nehmen ob überhaupt ein Mandatsverhältnis besteht oder nicht. Denn bereits die Anbahnung eines Mandatsverhältnisses aber auch das reine Bestehen oder Nichtbestehen eines Mandatsverhältnisses unterfallen der Geheimhaltungspflicht.

Die Geheimhaltungspflicht erschwert moderne Kommunikation

Dies führt mich regelmäßig bei Mandantenveranstaltungen zu der Problematik, dass ich auf die Frage woher ich eigentlich den Gastgeber kenne, keine Antwort geben darf. Die meisten Mandanten nehmen das natürlich mit Humor und erzählen dann selbst, dass ich der Rechtsanwalt des Unternehmens oder der Person bin. Der jeweilige Mandant darf natürlich frei entscheiden, ob er Dritten berichtet, dass er bei einem Rechtsanwalt ist und bei welchem. Ein zweites Problem bei der Geheimhaltungspflicht kann auch gerne dann entstehen, wenn der Mandant verheiratet ist, das Mandant nur den Mandanten selbst betrifft aber plötzlich die Ehefrau oder der Ehemann anruft, um einige Dinge abzuklären oder Informationen zu übermitteln. Streng genommen dürfte hier auch ein Anwalt mit dem Ehepartner nicht sprechen, es sei denn der Mandant hat  zuvor eingewilligt. Oftmals reagieren hier die Mandanten mit Unverständnis, wenn  man sie über diese Rechtslage aufklärt und in der Regel kommt es hierbei auch nicht zu Problemen aber es verdeutlicht doch, wie hoch diese Geheimhaltungspflicht hängt.

Bedingt durch die Geheimhaltungspflicht hat der Rechtanwalt auch dafür Sorge zu tragen, dass Dritte nicht ohne weiteres Einsicht in Mandatsunterlagen einnehmen können. Klassischerweise gehört dazu, die Kanzleiräumlichkeiten entsprechend abends zu verschließen, abschließbare Aktenschränke zu verwenden und sensible und wichtige Unterlagen ggf. in einem Tresor oder einem Bankschließfach aufzubewahren. Durch die zunehmende Digitalisierung passiert es aber, dass die Mandanten ihre gewohnten Kommunikationsformen auch beim Rechtsanwalt nutzen möchten. Ich selbst habe einen Sykpe-Account, ich selbst habe WhatsApp auf meinem Mobiltelefon installiert, ich habe einen Facebook-Account, ich habe einen Snapchat-Account, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Mandanten angefangen haben, mich eben auch auf diesen Kanälen zu erreichen.

Lässt man die aktuelle Entwicklungen bei WhatsApp außen vor (Ende-zu-Ende-Verschlüsselung) so ist festzuhalten, dass es durchaus einige Services gibt, bei denen eben eine vertrauliche Kommunikation nicht  gewährleistet werden kann. Gleiches gilt im Prinzip zwar auch für die E-Mail. Allerdings ist hier noch einmal der Unterschied zu machen, dass bei den E-Mails die E-Mail-Anbieter des Mandanten und unser E-Mail-Provider in Deutschland sitzen, sodass zumindest eine Speicherung von Daten im europäischen oder außereuropäischen Ausland ausgeschlossen ist. Bei Firmen wie Facebook und Snapchat ist dies eben nicht mehr der Fall. Auch hier kann man sich noch behelfen, in dem der Mandant entsprechende Einwilligungen unterzeichnet und somit zu verstehen gibt, dass er auf diesen Anspruch auf Geheimhaltung ein wenig verzichtet.

Stand der Technik beim Anwalt: Fax

Die klassische Arbeit eines Rechtsanwalts sieht aber heutzutage immer noch so aus, dass ein Großteil der Kommunikation schriftlich, das heißt per Brief abgewickelt wird. Für eilige Angelegenheiten, wenn zum Beispiel ein Fristablauf droht, sendet der Rechtsanwalt in der Regel an das Gericht oder den gegnerischen Anwalt ein Fax. Ein Fax wird deshalb genutzt, da man einen Sendebericht erhält, der zumindest ein Indiz dafür ist, dass der Schriftsatz bei der Gegenseite angekommen ist und eben eine Kopie beim Empfänger unmittelbar eingeht. Nachdem die Gerichte festgestellt haben, dass die Unterschrift auf einem Original, das sodann gefaxt wird rechtlich in Ordnung ist in der Kommunikation mit gegnerischen Rechtsanwälten und Gerichten, wurde das Fax schnell zum Mittel erster Wahl.

Es bedarf sicherlich keiner weiteren Ausführungen mehr, dass Faxgeräte technisch völlig veraltet sind. Ich selbst erhielt vor wenigen Wochen ein Fax von einer gegnerischen Rechtsanwältin, die mir freundlicherweise 100 DIN-A4-Seiten zugefaxt hat und dabei massenweise Screenshots von Webseiten beigefügt hat, die durch die Faxübertragung ganz genau überhaupt nicht mehr lesbar waren, zudem ist es natürlich abenteuerlich, 100 Seiten aus dem Fax zu ziehen. Da die Justiz und die Anwaltschaft leider immer etwas hinterherhinken was die neusten digitalen Trends anbelangt, kam man erst vor kurzem auf die Idee von einer reinen Möglichkeit, Dokumente an Gerichte und Behörden digital zu versenden zu einer Pflicht hierzu. Bisher ist es faktisch kaum möglich, mit Gerichten und gegnerischen Kollegen oder Behörden mittels qualifizierter digitaler Signatur Dokumente mit einem einheitlichen Standard auszutauschen. Es gibt zwar ein elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach, dieses ist aber nicht benutzerfreundlich und teilweise fehlerbehaftet. Dementsprechend ist die Anzahl der Nutzer sehr gering.

Jetzt soll sich etwas bewegen, die digitale Kommunikation kommt

Nunmehr gab es eine gesetzliche Initiative, die die Rechtsanwälte dazu verpflichtet, ein elektronisches Anwaltspostfach zu nutzen mit dem man sowohl die gegnerischen Kollegen, als auch Behörden und vor allen Dingen die Gerichte digital und sicher verschlüsselt erreichen kann. Wer sich ein wenig im Bereich Verschlüsselung von E-Mails auskennt, der weiß, dass grundsätzlich das Verschlüsseln von E-Mails kein Hexenwerk ist. Es ist heutzutage schon relativ einfach möglich, E-Mails zu verschlüsseln und somit sicherzustellen, dass diese auf dem Weg zum Empfänger nicht eingesehen werden können. Wenn man sich aber jetzt anschaut, wie dieses Projekt faktisch umgesetzt wird, dann läuft es einem kalt den Rücken herunter. In Deutschland gibt es ca. 160.000 zugelassene Rechtsanwälte. Ich habe grundsätzlich auch kein Problem damit, dass der Gesetzgeber hergeht und verpflichtend für alle Rechtsanwälte so ein Postfach einführt, da auch ich die Vorteile klar sehe.

Es ist möglich, dass Schriftsätze als PDF-Dokument gut lesbar mit Anlagen, welche dann auch unproblematisch farbig sein können, in kürzester Zeit und rechtssicher an Kollegen und Gerichte zugestellt werden können. Es entfällt somit immer die Problematik, dass Gerichte teilweise keine Farbausdrucke herstellen können oder Faxsendungen entsprechend in schlechter Auflösung dort eintreffen. Die Idee, dieses Anwaltspostfach so auszugestalten, dass es ein abgestuftes Rechtekonzept gibt, bei dem auch Mitarbeiter entsprechenden Zugang haben und gewisse Funktionen ausführen dürfen ist sicherlich richtig. Man muss aber berücksichtigen, dass die Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur dazu führt, dass jeder, der Zugriff zur Signaturkarte und der dazugehörigen PIN hat im Prinzip die Unterschrift des Rechtsanwalts digital und rechtsverbindlich setzen kann.

Im Prinzip gilt, wenn ich die Signaturkarte und die dazugehörige PIN Dritten überlasse, so hafte ich für alles was dann mit meiner digitalen Unterschrift passiert. Es im Prinzip ähnlich zu dem Fall, wenn Rechtsanwälte Blankounterschriften unter Schriftsätze leisten, die dann zum Beispiel in der Urlaubsabwesenheit von Mitarbeitern entsprechend genutzt werden. Auch hier haftet der Rechtsanwalt für alles was mit diesen Unterschriften passiert. Leider gab es nämlich genau diese Erfahrungen vor einigen Jahren mit ersten Testläufen, dass Anwälte keine Lust hatten sich mit der Signaturkarte und der PIN jeweils auseinanderzusetzen und haben diese ihren Sekretärinnen überreicht mit dem Hinweis, doch einfach selbst die Schriftsätze zu signieren und zu versenden.

Start mit Hindernissen

Im nunmehr erfolgten Anlauf sollte das besondere elektronische Anwaltspostfach eingerichtet werden. Dieses Postfach hat lediglich eine Hauptfunktion. Es soll im Prinzip ähnlich zur E-Mail die Nachricht und die beigefügten Dokumente sicher verschlüsseln und sodann in das Postfach des Empfängers übertragen. Dort kann dieser entsprechend eine Entschlüsselung herbeiführen und die Dokumente lesen. Es ist geplant, eine Weboberfläche einzuführen, aber auch eine Schnittstelle für die Hersteller von Kanzleisoftware, da mittels einer Kanzleisoftware auch direkt auf das Postfach zugegriffen werden kann, die entsprechenden Nachrichten abgerufen und in die Akten weiter verarbeitet werden können. An sich technisch gesehen keine größere Herausforderung. Sicherlich sind einige Knackpunkte das Rechtekonzept für Mitarbeiter, aber auch dies sollte letztlich kein Problem darstellen.

Digitales Rechtemanagement ist auch kein ganz neues Thema mehr. Vom Grundsatz her hörte sich also die Idee sehr gut an, alle Rechtsanwälte zu verpflichten, ein solches digitales Anwaltspostfach zu nutzen. So könnte man in Zukunft die Schriftsätze, die sowieso digital am Computer erstellt werden direkt als pdf-Dokument sicher verschlüsselt an den Gegner versenden und hätte auch einen Nachweis, dass der Schriftsatz dort eingegangen ist, gleiches gilt dann für die Gerichte, die aber erst später dieses Postfach nutzen müssen. Der Start war für den 01.01.2016 vorgesehen. Wenige Woche vor dem Start fiel dann aber der Bundesrechtsanwaltskammer auf, dass das System wohl doch noch gar nicht fertig sei und man auch im Hinblick auf die Usability große Bedenken haben. Der Start müsse daher auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Nunmehr wurde ein neuer Starttermin ausgegeben, jetzt soll es Ende September 2016 losgehen.

Budget: 28,8 Mio. Euro

Es ist schon erschreckend festzustellen, dass ein so großes Projekt derart schief läuft und man dieses Schieflaufen erst kurz vor dem Start bemerkt. Hierzu hat sich bereits großer Protest in der Anwaltschaft geregt, da ein solcher Ablauf kaum nachvollziehbar ist. Dies gilt vor allen Dingen deshalb, da die Kosten  insgesamt enorm sind. Über drei Jahre verteilt müssen alle Rechtsanwälte in Deutschland 180 Euro bezahlen, für die Bereitstellung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs. Da es 160.000 Rechtsanwälte gibt und jeder Rechtsanwalt 180 Euro bezahlen muss, kommt man auf eine Gesamtsumme von 28,8 Mio. Euro. Hinzu kommen aber noch die Kosten für die Signaturkarte, die regelmäßig erneuert werden muss und die Kosten für den Kartenleser. Ich persönlich habe mit diesen Kosten grundsätzlich kein Problem, frage mich aber, wie man es schafft, ein solches Projekt, welches nicht allzu umfangreich ist und welches in anderen Ländern auch schon erfolgreich eingeführt wurde, in so eine Kostendimension zu katapultieren. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass dieses Projekt wenigstens technisch besser umgesetzt ist als das Produkt EGVP, da es dort zu größeren Problemen und Ausfällen kam.

Wenn also alles gut läuft, können Rechtsanwälte digital und verschlüsselt ab dem 01.10.2016 mit den gegnerischen Kollegen und bis spätestens 2020 mit den Gerichten kommunizieren. Spannend bleibt dann nur noch die Frage, welche Möglichkeiten es dann gibt, die eigenen Mandanten schnell, effektiv und rechtssicher, das heißt ebenfalls digital verschlüsselt zu erreichen. Auch hier wäre es interessant, wenn der technische Fortschritt Einzug halten würde. Wenn dann noch die Anbieter von modernen Kommunikationsmitteln – wie zum Beispiel WhatsApp, Snapchat oder auch Facebook – dazu übergehen würden, sämtliche Kommunikation komplett zu verschlüsseln, könnte man auch diese neuen Medien dazu nutzen, mit den Mandanten zu kommunizieren. Für mich persönlich ist die E-Mail eigentlich schon ein veralteter Standard, kurze Fragen von Mandanten, Terminsanfragen oder ein kürzerer Austausch findet heutzutage nicht per Telefon oder E-Mail statt, sondern per WhatsApp.

Über den Autor

Boris Burow

Boris ist Rechtsanwalt aus Karlsruhe und hat seine Begeisterung für IT, Medien und Internet zum Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht.

1 Kommentar

  • Es ist echt interessant zu sehen, in welchem Jahrtausend sich die Behörden noch befinden…
    Es bestätigt aber die Aussage, dass dies ja alles #Neuland sei… 😉