Technologie

Vorratsdatenspeicherung: Wie die Politik uns mit Panikmache überwachen will

Vorratsdatenspeicherung, Kommentar, Panikmache, Politik
Adobe Stock/ standret
geschrieben von Christian Erxleben

Es gibt keine juristische Grundlage für eine anlasslose und unbegründete Vorratsdatenspeicherung und sowie Überwachung von Menschen in Deutschland. Trotzdem wollen jetzt mehrere Politiker genau das einführen: eine dauerhafte Kontrollmöglichkeit ohne Anlass. Dabei setzen sie auf einen Trick: Angst. Ein Kommentar.

Die große Koalition hat sich zu Beginn der amtierenden Regierungsperiode dafür entscheiden, einige Projekte anzugehen. Dazu gehören große Themen wie beispielsweise die (Teil-)Legalisierung von Cannabis in Deutschland. Ein weiteres wichtiges Ziel: Endlich eine klare Regelung mit Blick auf die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland.

Dabei gehen die Meinungen in der Ampel-Koalition offenbar weit auseinander. Erstaunlicherweise plädiert ausgerechnet die FDP dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung endlich ad acta gelegt wird. Und tatsächlich schien es so, als wäre eine praktische, datenschutzarme Lösung gefunden: das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren.

Was ist das Quick-Freeze-Verfahren – und was sind die Unterschiede zur Vorratsdatenspeicherung?

Die Vorratsdatenspeicherung ist quasi das Crawler-Netz unter den Datensammeltechniken. Dabei werden die IP-Adresse, Standort-Daten und andere Informationen von theoretisch allen Personen oder einem bestimmten Ort für einen fast unbegrenzten Zeitraum gespeichert. Im Ernstfall könnten die Strafverfolgungsbehörden also sofort und vollumfänglich darauf zugreifen.

Quick Freeze ist dagegen deutlich daten- und grundrechtsschonender. Die Speicherung beziehungsweise das Einfrieren (Freeze) der Daten beginnt erst, wenn es einen konkreten Verdacht und einen richterlichen Beschluss gibt.

Die Vergangenheit wird also nicht aufgezeichnet und ausgewertet. Und auch um die aufgezeichneten Daten im Anschluss zu verwenden, ist ein richterlicher Beschluss notwendig. Also ja: Auch durch das Quick-Freeze-Verfahren können bestimmte Menschen oder Orte überwacht werden. Der Aufwand und damit die Sicherung der Grundrechte ist allerdings deutlich höher.

Höchstrichterliche Urteile verbieten Vorratsdatenspeicherung

Seit beinahe 15 Jahren wird in Deutschland und Europa immer wieder und sehr eifrig über die Vorratsdatenspeicherung diskutiert. Immer wieder bringen Politiker oder Interessensverbände diese umfassende Form der Überwachung von unzähligen unschuldigen Menschen ins Gespräch.

Dabei sind die Entscheidungen der höchsten Gerichtshöfe in Deutschland und Europa sehr eindeutig. Für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung gibt es hierzulande keine rechtliche Grundlage. Das hat zuletzt im September 2023 auch nochmal das Bundesverwaltungsgericht entschieden.

Der Europäische Gerichtshof hatte ein Jahr zuvor – im September 2022 – bestätigt , „dass das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten entgegensteht, es sei denn, es liegt eine ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit vor.“

Hessen macht Werbung für Vorratsdatenspeicherung

Trotz der sehr eindeutigen Gerichtsurteile und gegen die Pläne der Bundesregierung bringen der hessische Ministerpräsident Boris Rhein gemeinsam mit seinem Justizminister Christian Heinz einen Vorschlag in den Bundesrat ein.

Am 26. April 2024 wollen sich die beiden hessischen Politiker dafür einsetzen, dass in Deutschland eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung eingeführt wird – für einen Zeitraum von einem Monat.

Kindesmissbrauch und Panikmache als Wegbereiter für die totale Überwachung

Die Tricks der Politiker – zu denen sich auch Bundesinnenministerin Nancy Faser gesellt – sind so simpel wie erfolgsversprechend.

Sie sagen, dass viele Täter nicht gefasst werden können, weil es keine entsprechenden Informationen zu IP-Adresse, Gerätekennungen und Standort-Daten gibt. Dabei geht es allerdings nicht um irgendwelche Opfer, sondern ausgerechnet um Kinder und Minderjährige.

Justizminister Christian Heinz erklärt in der Stellungnahme:

Unsere Initiative stellt klar: Wir positionieren uns eindeutig für eine effektive Strafverfolgung von schweren Straftaten, insbesondere die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Kinderpornografie.

Dieser Forderung würde auch niemand widersprechen. Schließlich sind Kinder die hilf- und wehrlosesten Mitglieder unserer Gesellschaft. Dass sie um jeden Preis geschützt werden müssen, steht außer Frage.

Kriminalstatistik bestätigt Anstieg – und liefert Erklärung

Die kürzlich veröffentliche Kriminalstatistik belegt das auch. Demnach haben die Fälle im Bereich der Kinderpornografie und im Kindermissbrauch deutlich zugenommen. Dafür gibt es jedoch eine simple Erklärung, die schon im Jahr 2022 durch eine kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag geliefert worden ist.

Damals hat das Bundesinnenministerium erklärt:

Die starke Zunahme der Entdeckung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern im Netz, welche sich letztlich in der Polizeilichen Kriminalstatistik abbildet, ist ein Ergebnis der verstärkten Aufhellung des hohen Dunkelfeldes.

Nach einer Meldung einer strafbaren Verbreitungshandlung folgen Ermittlungsmaßnahmen, bei denen in der Mehrheit der Fälle wiederum zahlreiche neue kinderpornografische Inhalte sichergestellt werden und die zumeist zu weiteren Tatverdächtigen führen. Gleichzeitig werden im Nachgang wieder neue Ermittlungsverfahren eingeleitet, bei denen abermals große Datenmengen inkriminierten Materials sichergestellt werden.

Durch immer bessere technische Detektionsmöglichkeiten und immer umfangreichere Beteiligung einzelner Provider an der aktiven Suche nach entsprechenden Dateien und Sachverhalten wird immer mehr inkriminiertes Material entdeckt und den Strafverfolgungsbehörden gemeldet.

Steigende Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik sind demnach ein Indikator dafür, dass die zusammen mit der Wirtschaft entwickelten Kontrollmechanismen immer besser greifen, mehr Fälle aufgedeckt und damit auch mehr laufende Missbrauchshandlungen beendet werden.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Personifizierte Scheinheiligkeit in Bund und Ländern

Warum sind die aktuelle Diskussion und der aktuelle Vorstoß aus Hessen also so fragwürdig? Nicht, weil die Intention dahinter nicht richtig ist. Wir müssen unsere Kinder schützen.

Der Vorschlag ist so scheinheilig, weil er unter Vortäuschung falscher Tatsachen – die Fälle von Kinderpornografie steigen und das müssen wir verhindern – ein Gesetz und eine Form der Überwachung einführen möchte, die bereits mehrfach juristisch abgelehnt worden ist.

Oder noch einfacher ausgedrückt: Es wird mit urmenschlichen Ängsten und Sorgen gespielt, um etwas durchzusetzen, das eigentlich nicht erlaubt und gewünscht ist. Ausgerechnet Kinder dafür im wahrsten Sinne des Wortes zu missbrauchen, fällt in die unterste Schublade und ist abscheulich.

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Kommentar. Das ist eine journalistische Darstellungsform, die explizit die Meinung des Autors und nicht des gesamten Magazins widerspiegelt. Der Kommentar erhebt keinen Anspruch auf Sachlichkeit, sondern soll die Meinungsbildung anregen und ist als Meinungsbeitrag durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt.

Auch interessant:

Über den Autor

Christian Erxleben

Christian Erxleben arbeitet als freier Redakteur für BASIC thinking. Von Ende 2017 bis Ende 2021 war er Chefredakteur von BASIC thinking. Zuvor war er als Ressortleiter Social Media und Head of Social Media bei BASIC thinking tätig.