Wenn wir die USA und China im Rennen um die digitale Spitze überholen möchten, brauchen wir dringend europäische Start-ups. Warum das so ist, erklären Jens Hansen und Carsten Lexa ausführlich.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat kürzlich die „Gründungsoffensive“, abgekürzt „GO!“ ins Leben gerufen. Anhand von zehn Punkten wie „Gründergeist stärken“, „Gründungsumfeld verbessern“, „Mehr Wagniskapital bereitstellen“ oder „Soziales Unternehmertum stärken“ soll die Gründerkultur in Deutschland gestärkt werden.
Dieser Ansatz ist löblich. Denn wir werden europäische Start-ups und die Ideen ihrer Gründerinnen und Gründer brauchen, um nicht von den US-amerikanischen oder asiatischen Unternehmen völlig abgehängt und ausgebremst zu werden.
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USA führend bei digitalen Geschäftsmodellen
Die USA sind weltweit Spitzenreiter bei digitalen Geschäftsmodellen. Ganz gleich welche Branche: Überall führen regelmäßig US-amerikanische Unternehmen die Märkte an. Als Pioniere der ersten digitalen Welle haben Microsoft, Apple, Oracle und andere die Digitalisierung bereits seit Ende der 70er Jahre für sich genutzt.
Viele von ihnen haben sich im Silicon Valley angesiedelt oder unterhalten dort Niederlassungen. Dadurch ist in Kalifornien ein Ort von besonderer Innovationskraft entstanden.
Zusammen mit Universitäten wurde der Grundstein für weitere Generationen von digitalen Gründern gelegt. Dadurch konnten die Gründer von Google, Amazon, Paypal oder Ebay in der zweiten Start-up-Welle bereits auf ein funktionierendes Netzwerk zur Unterstützung ihrer Geschäftsidee zurückgreifen.
Ihnen folgte dann die dritte Generation mit Unternehmen wie Facebook, Snapchat oder Airbnb. Kapitalgeber, von großen Fonds bis hin zu Business Angels, haben all diesen Unternehmen ein internationales Ausrollen ihres Geschäftsmodells ermöglicht.
Europa in zweiter Reihe
Wie sieht es im Gegenzug in Europa aus? Auch hier gab es einige Unternehmensgründungen, die es zu weltweitem Ansehen gebracht haben. Am bekanntesten und erfolgreichsten ist wohl SAP.
Doch im Gegensatz zu den USA hat man sich hier nicht in Clustern wie im Silicon Valley zusammengefunden. Ebenso wenig gab es den gleichen Austausch oder die Unterstützung für die nächsten Generationen.
Jeder hat eher für sich dahin gewerkelt. Entsprechend fehlte die große Unterstützung, wie sie ihre Counterparts in den USA erlebt haben.
Doch auch in Europa waren Gründer digital erfolgreich. Bekannte Namen sind Skype, Zalando, Delivery Hero, Xing oder Blablacar. Diese sind in Europa zwar inzwischen wichtige Player. Sie liegen am Ende aber hinter der Größe US-amerikanischer Unternehmen zurück.
China mit einer anderen Strategie
Im Gegensatz zu den Europäern sind die Chinesen von Anfang an einen völlig anderen Weg gegangen. Auch sie haben US-amerikanische Geschäftsmodelle übernommen. Gleichzeitig wurde jedoch der chinesische Markt von den großen US-amerikanischen Digital-Unternehmen abgeschottet.
So hatten sowohl Google als auch Facebook und Amazon große Schwierigkeiten, überhaupt einen Fuß in den chinesischen Markt zu bekommen. Entweder wurden ihre Dienste komplett verboten oder die Auflagen so hoch gesetzt, dass es ihnen quasi unmöglich war ihr Geschäftsmodell zu betreiben.
Für die Chinesen hat sich diese Politik ausgezahlt. Mit Tencent, dem Unternehmen hinter Wechat, und Alibaba sind gleich zwei große Internet-Konzerne entstanden, die den US-amerikanischen Vorreitern in nichts nachstehen.
Sie gehören zu den wenigen Unternehmen, die den Amerikanern auf dem Weltmarkt Paroli bieten können.
Herausforderungen durch global aufgestellte Unternehmen
Warum ist es so schwer, im digitalen Zeitalter erfolgreich zu sein, wenn etablierte Unternehmen global auf dem Markt vertreten sind?
Plattformen und der Netzwerkeffekt
Bei Plattformen wie Facebook und Amazon liegt dieses vor allem am Netzwerkeffekt. Das bedeutet: Je mehr ein Angebot von den Kunden genutzt wird, desto mehr Wert stellt es für jeden weiteren Nutzer dar. Neue Anbieter sind mit dem Dilemma konfrontiert, weniger Nutzer und damit weniger Angebot zu haben.
Selbst Google hatte es mit Google Plus trotz Milliardeninvestitionen nicht geschafft, die Dominanz von Facebook zu brechen. Die Konsequenz: The Winner takes it all. Die meisten kleinen Anbieter gehen zu Gunsten eines großen Monopolisten ein.
Wenn es nicht mal Google schafft, wie sollen dann junge Unternehmen in Europa die Herausforderung annehmen? Zwar hat die EU mit einer harten Datenschutzinitiative versucht, das Agieren der großen US-amerikanischen Player einzuschränken.
Doch am Ende wirft es auch der eigenen Industrie Knüppel zwischen die Beine. Während die Großen in laxen Zeiten Fehler machen durften und Lücken im Datenschutz zum Aufbau ihres Geschäfts nutzen konnten, schafft die EU jetzt Markeintrittsbarrieren für eigene europäische Unternehmen und festigt so den Status quo.
Digitale Ökosysteme
Zu den Plattformen kommen weiter digitale Ökosysteme hinzu. Dazu gehören Microsoft mit seiner Windows- und Office-Welt, Apple mit dem iPhone und dem Mac sowie Google mit Android, Search, Maps und Co.
Hierbei handelt es sich um Schlüsselangebote, die zwingend gebraucht werden – zum Beispiel als Betriebssystem für Computer und Smartphone oder als Suchmaschine für das Internet.
US-amerikanische Unternehmen verfügen hier über die Vormachtstellungen und besetzen die Märkte. Neue Unternehmen müssen hier andocken. So sind neue Apps von Start-ups und unabhängigen Entwicklern darauf angewiesen, in den App Stores von Google und Apple aufzutauchen.
Gleichzeitig haben Apps von Google und Apple Privilegien im eigenen Ökosystem. Sie sind von Anfang an installiert, können auf alle Nutzerdaten zugreifen oder werden mit einer besseren Nutzerführung ins System integriert.
Entstehen neue Geschäftsmodelle am Markt müssen diese nur nachgeschoben werden. So integriert Apple immer mehr Gesundheits-Funktionen ins iPhone und Google hat sich der Mobilitätsvermittlung angenommen.
Europäische Alternative – Fehlanzeige
Trotz des Faktes, dass die Amerikaner gerade jegliche Schnittstelle zum Kunden besetzen – sei es über Endgeräte, Plattformen oder Handel – zeichnen sich bisher keine europäischen Alternativen ab.
Selbst erfolgreiche europäische Start-ups müssen an der einen oder anderen Stelle an diese Torwächter andocken – sei es, dass sie Werbung schalten, ihre Produkte online verkaufen oder Leistungen per App zur Verfügung stellen. Eine echte europäische digitale Unabhängigkeit sieht anders aus.
Abschied von der digitalen Aufholjagd
Doch alles Jammern hilft nichts. Es ist, wie es ist. Wie kommen wir trotzdem auf ein Level, das dem von Amerikanern oder Chinesen entspricht? Der wohl wichtigste Punkt: Wir müssen uns von der digitalen Aufholjagd verabschieden.
Was sich auf den ersten Blick widersprüchlich anhört, hat einen tieferen Sinn. Wir brauchen nämlich ein neues Mindset. Und dieses Mindset muss das Überholen in den Vordergrund stellt.
Der Ansatz wäre folgender: Statt die Konzepte der US-Amerikaner und Chinesen zu kopieren, sollten wir sie disruptieren. Es geht also darum, die Geschäftsmodelle von Amazon, Google, Microsoft, Apple und allen anderen durch radikal neue Ideen überflüssig zu machen.
Dezentralisierung als Schlüssel für europäische Start-ups
Was sich auf den ersten Eindruck etwas absurd anhört, lässt sich am Ende viel einfacher angehen, als gedacht. Eines der Schlagworte dabei ist Dezentralisierung. Das heißt: Eine Abkehr von zentralen Plattformen, mit denen ein einziger Anbieter einen kompletten Markt dominieren kann.
Die Technologien dazu stehen bereits in den Startlöchern. Es handelt sich um die Blockchain-Technologie und verwandte Konzepte, die unter anderem hinter der Digital-Währung Bitcoin stehen. Sie sind nicht nur dazu geeignet, den Zahlungsverkehr zu revolutionieren, sondern auch die Online-Plattformen abzulösen.
Um die Zweifler gleich abzuholen: Es gibt bereits funktionsfähige Lösungen, die genau dieses tun. Zu nennen sind zum Beispiel STEEM als soziales Netzwerk, SIA als Lösung zur Speicherung von Dateien und GOLEM als dezentralisiertes Cloud-Computing-System.
Die europäischen Staaten müssten die sich daraus ergebende große Chance lediglich erkennen und handeln. Dazu gehören beispielsweise Rahmenbedingungen insbesondere im rechtlichen Bereich. So kann Europa der Technologie zum Durchbruch verhelfen.
Zudem gilt es, Förderprogramme genau hier anzusetzen und ein prosperierendes Ökosystem für europäische Start-ups zu kreieren. Europa muss das Epizentrum der nächsten Welle des digitalen Wandels werden.
Lizenzfreie Schnittstellen und Standards
Ein weiterer Baustein in Richtung digitaler Überholstrategie basiert auf klar definierten, offenen, lizenzfreien Schnittstellen und Standards. Die eigenen Daten können so nicht bei einem Anbieter eingesperrt werden, sondern ein Anbieterwechsel ist jederzeit möglich.
Man stelle sich vor, die Datei einer Tabellenkalkulation, einer Präsentation oder eines Textes ließe sich herstellerunabhängig in der Software jedes Anbieters mit voller Funktionalität nutzen. Gleiches gilt für Social-Media-Daten, Bilder oder Musik: Alles ließe sich nach Belieben zum nächsten Anbieter überführen.
Der Wettbewerb um die besten Lösungen würde auf einem neuen Level wieder in Gang gesetzt. Die Karten wären dabei neu gemischt, sodass auch Europa gute Chancen hätte, eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Open Source als finaler Bestandteil der europäischen Überholstrategie
Als letzter Bestandteil einer europäischen digitalen Überholstrategie steht das Thema Open Source. Sie erleichtert es Start-ups, bestehende Software als Basis ihrer Produkte zu nehmen und weiterzuentwickeln. Ansonsten muss die Welt immer wieder komplett neu erfunden werden und Monopole manifestieren sich.
Bedrohlich wird zudem das Thema Software-Patente gerade bei der Blockchain-Technologie. Große Kreditinstitute wie die Bank of America melden in regelmäßigen Abständen Konzepte als Patent an. Damit lässt sich entweder eine Innovation bremsen oder zum Aufbau einer Monopolposition nutzen.
Ein Abschied davon könnte Europa bei der Entwicklung von digitalen Lösungen ganz nach vorne katapultieren. Der Aufbau eines umfassenden digitalen Ökosystems wäre möglich, bei dem etablierte Unternehmen, europäische Start-ups und der Staat kooperieren.
Digitales Public Privat Partnership könnte ein zentraler Bestandteil einer europäischen Überholstrategie werden. Eine Strategie, die ohne die Notwendigkeit des Silicon Valley und seinen unendlichen finanziellen Ressourcen auskommt.
Digitale europäische Start-ups sind also ein wesentliches Element, um Europa digital stärker zu machen. Der Rahmen, der ihnen zur Verfügung gestellt werden muss, wird jedoch ein anderer sein als in den USA.
Das Ziel wird nicht eine Aufholjagd sein, sondern ein Überholmanöver, um sowohl Amerika als auch China digital hinter uns zu lassen.
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