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You – Du wirst mich lieben: Was taugt die Stalker-Serie auf Netflix?

Das Jahr hat gerade begonnen — frohes neues Jahr also von mir mal flott an dieser Stelle. Viele gute Vorsätze habe ich nicht getroffen, weil ich diese Folklore, eine bestimmte Änderung ausgerechnet an einem bestimmten Tag eintüten zu müssen, merkwürdig finde. Was aber jedes Jahr auf dem Zettel steht bei mir: Das eigene Tun reflektieren und die Dinge, die man nicht so an sich erkennt, möglichst abstellen.

Würde das Joe tun — der Held der neuen Netflix-Serie „You – Du wirst mich lieben“, er hätte vermutlich ordentlich was zu tun. Joe, der in einem New Yorker Bücherladen arbeitet, ist nämlich nicht nur ein ziemlicher Kontrollfreak, sondern auch ein Stalker, krankhaft eifersüchtig und schlimmer noch: Er schreckt auch vor Mord nicht zurück.

An dieser Stelle muss ich noch flott drauf hinweisen, dass man die Serie nicht sonderlich gut besprechen kann, ohne zu spoilern. Wenn euch das den Spaß an der Serie nimmt, vorher zu viel zu wissen, solltet ihr also besser erst weiterlesen, nachdem ihr euch die Folgen reingezogen habt.

Wir sind alles kleine Stalker

Eine liebe Freundin hat neulich bei Telegram die Angabe deaktiviert, wann sie das letzte Mal in der App online war. Statt „vor drei Minuten“ steht da jetzt: „zuletzt kürzlich gesehen“ — egal, ob sie vor drei Minuten oder vor acht Stunden online war. Das ist natürlich absolut legitim, aber allein die Tatsache, dass es mir im Nachhinein bewusst auffällt, dass ich weniger genau darüber Bescheid weiß, wie sie die App nutzt, ist doch gruselig, oder?

Wir achten drauf, ob unsere Nachrichten auch gelesen werden, wann „unsere“ Leute online sind, außerdem verfolgen wir natürlich, was sie auf Twitter, Instagram oder Facebook posten, wo sie sich einloggen, mit welchen Leuten sie sich umgeben. Das machen wir mal mehr und mal weniger bewusst und gehört — in sehr unterschiedlichen Ausprägungen — zu unserem täglichen Leben.

Wenn ihr euch Sorgen macht, ob euch deswegen jemand ernsthaft für einen Stalker hält: Keine Bange, der Blick auf unseren Antihelden Joe öffnet euch die Augen, dass ihr gar nicht sooo schlimm sein könnt wie er. Das Drama dabei: Joe ist nicht so ein Arschloch-Typ, stattdessen ist er gebildet, eloquent, humorig und alles in allem genau das Gesamtpaket, auf das viele Frauen ihr ganzes Leben lang hoffen.

Er lernt sein künftiges Herzblatt kennen, als sie seinen Bücherladen betritt. Er ist sofort fasziniert von Guinevere, die gerne Schriftstellerin werden möchte und von allen nur kurz „Beck“ genannt wird. Auch sie ist für mein Empfinden ein spannender Typ Frau: Belesen, verträumt, witzig, wirklich hübsch, aber auch so verletzlich und unsicher, dass man sie direkt in der ersten Folge am liebsten adoptieren möchte.

Auch Joe erkennt das und weiß natürlich, wo er anzusetzen hat. Dabei überlässt er bei diesem „Kennenlernen“-Spiel allerdings nichts dem Zufall. Als Zuschauer bekommt man sehr schnell mit, dass hier was verkehrt läuft. Kein zufälliges über-den-Weg-Laufen ist wirklich zufällig und sehr schnell gelangt er auch in den Besitz ihres Smartphones, so dass er sich über Beck nicht nur über die von ihr intensiv genutzten Social-Media-Kanäle informiert, sondern aus allererster Hand erfährt, was bei ihr gerade Phase ist.

Als ihr Retter (sie fällt betrunken aufs Gleis) kommt er ihr näher und sie geht ihm selbstverständlich in die Falle. Er selbst sieht das natürlich nicht als Falle, sondern als Ausdruck seiner aufrichtigen Liebe zu ihr. Am Anfang hat man noch leicht die Hoffnung, dass er einfach nur ein Kontroll-Freak ist, der übers Ziel hinausschießt. Spätestens aber, wenn er auch davor nicht zurückschreckt, einen Widersacher zu entführen und in der Folge zu ermorden, wissen wir, dass sich Beck in deutlich größerer Gefahr befindet, als sie es ahnt.

Joe und Beck — ihr könnt es euch denken — werden natürlich ein Paar. Kein Wunder, denn die Wünsche, die er ihr von den Augen abliest, liest er im Grunde ja in ihrem Smartphone ab. Es sterben in der Folge noch weitere Menschen und um es pathetisch zu sagen: Auch die Liebe stirbt — zumindest von ihrer Seite aus, spätestens als sie die gruselige Erkenntnis hat, dass ihr Freund gemeingefährlich ist.

Zehn mal 45 Minuten Anschauungsunterricht

Alles, was ich jetzt noch nicht gespoilert habe, überlasse ich euch dann jetzt selbst. Aber wir wissen zumindest schon mal, dass Netflix eine zweite Staffel bestätigt hat, noch bevor die erste überhaupt angelaufen war. Die erste Staffel umfasst zehn Folgen, die allesamt so zwischen 42 und 49 Minuten gehen. Ich hab sie innerhalb von zwei Tagen durchgeglotzt, was euch schon verrät, dass sie mir recht gut gefallen hat.

Hin und wieder kommt man ein wenig ins Grübeln, weil ich die ein oder andere Geschichte zuweilen für etwas unlogisch halte. Die Logikfehler machen mir aber zumeist nichts aus, zumindest in diesem Fall nicht. Manches mal frage ich mich darüber hinaus, wieso Joe auf der einen Seite so geschickt in den Leben der anderen herumschnüffelt, sich aber dabei oft so unnötig in Gefahr begibt. So ein Stalker seines Schlags würde für mich realistischer wirken, wenn er beispielsweise beim Einbrechen in eine fremde Wohnung sorgfältiger vorgeht, Risiken mehr minimiert.

Außerdem frage ich mich, wie viel Freizeit er haben kann, weil er ja nicht nur Beck überwacht, sondern auch ihre anderen Männer-Bekanntschaften und ihre Freundinnen. Nichtsdestotrotz wird die Geschichte gut erzählt, ist wirklich sehr spannend und hält uns zudem auch ein wenig den Spiegel vor. Was euch da im Spiegel entgegenblickt, müsst ihr selbst beurteilen: Seht ihr dort den Menschen, der vielleicht selbst zu sehr darum bemüht ist, einen Menschen zu kontrollieren? Oder seid ihr eher die Person, die auch viel zu freiwillig mit Infos umgeht, die für jedermann ersichtlich an vielen Orten im Netz zu finden sind?

Wir haben es hier also nicht nur mit einer hochspannenden Serie zu tun, die mich über alle zehn Folgen bestens unterhalten hat, sondern auch mit einer schönen Gelegenheit, unser eigenes Tun ein wenig zu reflektieren. Wenn ihr Thriller mögt, die sich anfangs erst im Körper eine süßen Liebeskomödie verstecken, seid ihr mit „You“ an der richtigen Adresse. Die Serie lebt — zumindest für mich — davon, dass jenseits dieses Stalker-Irrsinns Beck und Joe ein wirklich wundervolles Paar sind und Joe zudem auch nicht nur wie ein Geisteskranker daherkommt, sondern mit Witz, scharfer Beobachtungsgabe und Eloquenz besticht.

Zudem mag ich auch generell Serien, in denen uns eine Erzähler-Stimme — in diesem Falle die von Joe selbst — auf dem Laufenden hält und wir so besser in Joes Gedankenwelt eintauchen können. Für mich ist das eines der Geheimrezepte der Serie: Meistens bekommen wir solche Thriller entweder aus der Sicht des Opfers oder eines Ermittlers serviert, hier sehen wir alles aus dem Täter-Blickwinkel und das, ohne dass man den Charakter als komplettes Arschloch wahrnimmt. Viel mehr nehme ich ihm sogar ab, dass er sich selbst ganz einfach für einen aufrichtig liebenden Mann hält. Ich bin jedenfalls jetzt schon schwer auf die zweite Staffel gespannt und hoffe, dass sie qualitativ an die erste anknüpfen kann und den ein oder anderen Logikfehler dabei vermeidet. Wenn ihr sowohl die Stalker-Thematik, Thriller und Love-Story in einem interessant findet, solltet ihr unbedingt auch sofort in die erste Staffel reinschauen.

PS: Was ich mir ebenfalls für die zweite Staffel wünsche: Dass man die Serie medial authentischer begleitet. So gibt es beispielsweise tatsächlich das Instagram-Konto von Beck, allerdings mit nur einem einzigen Beitrag und den kann man nicht mal sehen, weil das Profil auf „privat“ gestellt wurde. Das könnte man mehr mit Leben füllen, finde ich, was uns alle noch ein bisschen mehr selbst zu Stalkern macht, was für die Serie bestimmt von Vorteil wäre.

Über den Autor

Ehemalige BASIC thinking Autoren

Dieses Posting wurde von einem Blogger geschrieben, der nicht mehr für BASIC thinking aktiv ist.