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Fyre Festival: Netflix-Doku beleuchtet das unsägliche Festival-Debakel

2019 wird ein tolles Musikjahr, so viel steht mal fest. Ich bin totaler Konzert-Junkie, hab meine ersten drei Konzerte dieses Jahr schon hinter mich gebracht und hab auch schon wieder mehr als ein Dutzend Tickets für kommende Konzerte und Festivals. Wenn ihr meine Begeisterung für Konzerte und Festivals kennt oder gar teilt, könnt ihr euch vermutlich vorstellen, wie groß mein Interesse an Dokumentationen ist, die sich mit Musik im weitesten Sinne oder eben auch Festivals befassen.

Als Netflix darüber informierte, dass es eine Doku über das Fyre Festival gäbe, klingelte es bei mir gleich doppelt: Einmal aus dem oben beschriebenen Grund und außerdem, weil ich noch dunkel den Hype um dieses als Luxus-Event gedachte Festival im Hinterkopf hatte. Damals haben massig Models und InfluencerInnen die Werbetrommel für diese Luxus-Veranstaltung gerührt. Die fand dann aber nie statt, nicht eine einzige Band betrat je die Bühne und wieso das so war, erfahrt ihr ausführlichst in dieser Dokumentation, die seit einigen Tagen auf Netflix zu sehen ist und die ich euch wärmstens ans Herz legen möchte.

… und es klang doch so gut

Billy McFarland ist der typische Entrepreneur und Startup-Gründer, wie er im Buche steht. Jung, dynamisch, immer eine Spur zu optimistisch und jemand, der ein großes Talent besitzt: Nämlich Leuten die Idee in den Kopf zu pflanzen, dass er ein Visionär ist — jemand, der Dinge anschieben kann, die noch nie jemand vor ihm realisiert hat.

Zu Geld kam er durch Magnises — ein Unternehmen, welches er 2013 gründete. Magnises bot eine Kreditkarte für Millennials an und konnte sich schnell über 1,5 Millionen US-Dollar Investoren-Geld freuen. Im Fokus hatte man gut situierte Menschen, denen man für ihr Geld eine sehr luxuriöse Karte bieten wollte, die mit vielen exklusiven Extras lockte. Die Karte selbst war aus Metall — wirkt halt nochmal edler und protziger — und ermöglichte es den Besitzern, auf sehr exklusive Parties und Konzerte zu gehen. Manches mal gab es Tickets günstiger, manchmal gelangte man gar auf Parties, auf denen auch Promis zugegen waren und für die es ohne eine Magnises-Karte überhaupt keinen Zugang gab.

In dieser Zeit knüpfte McFarland auch bereits enge Bande zum Rapper mit Ja Rule und beide sollten in der Folge auch zusammen an einem neuen Projekt arbeiten. Dabei ging es um eine „Fyre“ getaufte App, mit der es möglich werden sollte, möglichst unkompliziert Künstler buchen zu können: Dein Lieblings-Rapper auf Deiner eigenen Geburtstags-Party — ein dickes Ding, zumindest, wenn man über den geeigneten Geldbeutel verfügt.

Um die Werbetrommel für Fyre zu rühren, dachte sich das Startup etwas ziemlich Spezielles aus: Ein Festival, das alle Rekorde sprengen sollte. Es sollte ein absolutes Luxus-Event werden, auf dem sich Promis, Models und Influencer die Klinke in die Hand geben, auf einer sonnigen Insel auf den Bahamas in luxuriösen Villen untergebracht werden und natürlich neben bestem Essen und Trinken mit Musik von echten Top-Acts verwöhnt werden sollten. Mit folgendem Video wurde die Veranstaltung beworben:

Wie ihr im Clip sehen könnt, sollte es eine Privatinsel sein, auf der dieses unglaubliche Festival über die Bühne geht. Eine Insel, die zudem vormals Pablo Escobar gehörte, was das ganze noch exklusiver und auch verruchter wirken ließ. Um dieses obige Video erstellen zu können, plünderte McFarland alles, was er an privater und geschäftlicher Kohle loseisen konnte und bezahlte ausgewählten Top-Models haarsträubend hohe Gagen. Das galt übrigens auch für die Künstler, die sich darüber wunderten, wieso sie für die doppelte Summe gebucht wurden, die sie sonst forderten.

Mehrere Tage lang feierten sowohl die Crew als auch die Models auf der Karibik-Insel, schütteten sich zu, hingen auf Yachten rum, genossen das tolle Wetter und drehten nebenher das Material für den Clip. Danach dann wurden viele InfluencerInnen aufgefordert, die Werbetrommel fürs Festival zu rühren, ebenfalls mit teils exorbitant hohen Summen. Allein Kendall Jenner soll beispielsweise 250 000 US-Dollar erhalten haben. Ihre Gegenleistung? Ein einziges Posting auf Instagram mit dem richtigen Hashtag. Allen influencern und Influencerinnen wurde zudem ein kostenloses VIP-Paket geboten: Unterbringung in einer Villa, köstlichstes Essen und natürlich Zutritt zum Festival — alles inklu.

Wer nicht gerade unter einem Stein lebt, bekommt heutzutage natürlich mit, wie das läuft mit dem großen Geld und dem Influencer Marketing: Steckt einfach viel Geld in die richtige Werbung, adressiert diese an die richtigen Menschen und seht dabei zu, wie euer eh schon großer Haufen Geld noch größer wird. Dabei ist dann das Produkt, um das es geht, fast schon nebensächlich.

Ähnlich sah es auch bei Fyre aus: Es gab spendewillige Investoren, es gab eine gute Geschäftsidee und zum Schluss gab es dieses hochkarätige Promo-Video und in der Folge eine beispiellose Social-Media-Kampagne, bis zum heutigen Tage so ziemlich das größte Ding, was jemals auf Instagram ablief. Man kann McFarland vorwerfen, was man will: Diese Kampagne, durchgeführt von der Marketing-Agentur fuckjerry, war jedenfalls tatsächlich gelungen, denn etliche Influencer und Influencerinnen ließen sich vor den Karren spannen.

Viele Prominente und Werbegesichter posteten an einem bestimmten Stichtag lediglich eine farbige Kachel mit dem entsprechenden Hashtag. Kennzeichnung als Werbung? Nope, die gab es weder beim Posten der Kacheln, noch bei sonstigen vertraglich vereinbarten Postings zum Fyre Festival.

Wüsste man nicht, dass sich in der Folge ein wahres Drama abspielen wird, könnte man an diesem Punkt denken, dass der Plan aufgeht. Klangvolle Namen wie Blink 182 oder Major Lazer führten das Line-Up an, das Interesse unter den Luxus-Kids war riesig und der ganze Spaß war ruckzuck ausverkauft.

Fyre – The Greatest Party That Never Happened

Wieso nun aus einer Idee, die auf dem Papier so überragend wirkt, eines der größten Debakel der Festival-Geschichte dieses Planeten wurde, erzählt die Dokumentation auf Netflix in knapp 100 Minuten. Es kommen sehr viele Menschen zu Wort, die teils Augenzeugen waren, teils aber eben auch mittendrin waren im Geschehen und dazu beigetragen haben, dass das ganze Ding komplett an die Wand fährt.

Ihr hört Stimmen auch aus den beteiligten Unternehmen, von den Einheimischen auf den Bahamas, die wochenlang schufteten, ohne einen einzigen Dollar dafür zu sehen. Das Ganze ist aufbereitet wie ein Krimi und je nach persönlicher Neigung ist die Doku ein riesiger Spaß (wenn ihr Spaß daran habt, Protzer wie McFarland scheitern zu sehen) und ein riesiges Drama für alle mit ein wenig empathischem Talent, die sich in all die Menschen einfühlen können, die in diesen Wochen vielleicht die schwärzeste Zeit ihres Lebens durchmachten.

Am besten sind vermutlich noch die jungen Luxus-Kids dran, die die Insel erreichten, bevor das Festival offiziell abgesagt wurde. Die haben ebenfalls eine Höllennacht hinter sich, in der sie meistens nicht wussten, wo sie hinsollen, wo ihr Gepäck ist oder wo sie schlafen sollen. Die überrascht wurden, weil sie statt Luxus-Unterkünften in vollgeregnete Zelte gestopft wurden, weil es keine Ansprechpartner und erst recht keine Bands gab.

Letztere sagten natürlich ab, als sich die Katastrophe abzeichnete und wenn man ehrlich sein soll, konnte man schon sehr früh erahnen, dass das Ding an die Wand fährt. Bis zuletzt besorgte der unermüdlich werbende McFarland aber neue Sponsoren-Gelder und hielt den Traum am Leben. Er brachte sogar einen Partner und — bis dahin — sehr erfolgreichen Geschäftsmann zum Alleräußersten: In letzter Sekunde hing es u.a. daran, dass Tausende von Trinkwasserflaschen, die für die Gäste gedacht waren, nicht durch den Zoll kamen. Der Mann war nach McFarland tatsächlich drauf und dran, dem zuständigen Zollbeamten einen Blowjob anzubieten, nur um das Wasser loszueisen und durch den Zoll zu bringen.

Die Netzgemeinde machte aus dem Mann — Andy King — in den letzten Tagen ein virales Phänomen, welches in vielen Memes durchs Netz geistert (hier mehr dazu). King, der selbst überhaupt nicht in den sozialen Medien aktiv ist, wurde von dem Trubel logischerweise überrascht, hat daraus aber das beste gemacht: Er unterstützt eine Crowdfunding-Kampagne, die Geld für die wirklichen Opfer des Fyre-Debakels auftreibt und bislang auch schon über 200 000 US-Dollar einsammeln konnte.

Die Dame, die diese Crowdfunding-Kampagne initiiert hat, heißt Maryann Rolle und ist eines der größten Opfer der ganzen Fyre-Nummer. Mehr als 1.000 Mahlzeiten pro Tag bereitete sie mit ihrem kleinen Betrieb für die Festival-Crew zu und musste letzten Endes mit ihrem Privatvermögen von über 50.000 US-Dollar ihre Angestellten bezahlen, da sie von den Organisatoren bis heute keinen einzigen Dollar sah. Gerade ihre Geschichte macht in der Doku betroffen.

Andere sind da glimpflicher aus der Nummer herausgekommen, McFarland selbst allerdings nicht. Der wurde als Hochstapler und Lügner entlarvt und ist mittlerweile in den Bau gegangen, nachdem er kurz nach dem Fyre-Debakel schon das nächste dicke Ding durchziehen wollte.

Wenn ihr gerne Dokumentationen seht, wenn ihr euch für das Fyre Festival interessiert und dafür, wie genau diese Katastrophe sich vom ersten bis zum allerletzten Tag entwickelt hat, dann solltet ihr euch diese Doku unbedingt anschauen. Ebenfalls soll jeder einschalten, der eine Idee davon bekommen möchte, wie Influencer ticken, wie sie sich bereitwillig für alles hergeben, was Fame und Geld verspricht und wie sie oft vor einen Karren gespannt werden, bei dem sie weder wissen, noch daran interessiert sind, wohin dieser Karren unterwegs ist.

Wie gesagt: Die Dokumentation ist hochspannend wie ein Thriller und bereitet dieses kolossale Scheitern großartig auf. Ehrlich gesagt habe ich wenig Hoffnung, dass sich so eine Geschichte nie wiederholen kann, aber ein paar Augen dürfte dieser Film sicher öffnen. Zurückgeblieben sind jedenfalls sehr, sehr viele Verlierer — wirkliche Gewinner kennt diese Geschichte nicht.

via Das Filter

Über den Autor

Ehemalige BASIC thinking Autoren

Dieses Posting wurde von einem Blogger geschrieben, der nicht mehr für BASIC thinking aktiv ist.