Social Media Wirtschaft

Nach Tik-Tok-Übernahme: Wäre Microsoft das bessere Facebook?

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Microsoft gilt als langweiliges Technologie-Urgestein. Dabei sieht die Realität anders aus. (Foto: Unsplash.com / Christina @ wointechchat.com)
geschrieben von Christian Erxleben

Microsoft hat offiziell bestätigt, dass es in Verhandlungen mit dem chinesischen Konzern Bytedance steht, um Teile des Tochter-Unternehmens Tik Tok zu übernehmen. Dadurch könnte Microsoft in der Technologie-Branche eine ungeahnte Rolle einnehmen und Facebook verdrängen. Eine Analyse.

Microsoft ist so etwas wie der langweile Opa in der Technologie-Welt. Das Unternehmen, das derzeit von CEO Satya Nadella geführt wird, gehört zu den größten und wichtigsten Technologie-Unternehmen der Welt. Und trotzdem gehört der Windows-Konzern nicht mehr wirklich zu den gefährlichen Wettbewerbern.

Das zeigte auch erst jüngst die Anhörung von dem US-Kongress, bei der Google, Amazon, Facebook und Apple (GAFA) aussagen mussten. Dass Microsoft eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, glauben also offenbar nicht einmal die Wettbewerbshüter in den USA.

Eine Tik-Tok-Übernahme wäre für Microsoft der große Deal

Jetzt steht Microsoft der größte Deal der vergangenen Monate oder sogar Jahre ins Haus. Denn wie das Unternehmen selbst offiziell bestätigte, steht es in Gesprächen mit dem chinesischen Technologie-Konzern Bytedance.

Konkret geht es dabei um die Teil-Übernahme des Tochter-Unternehmens und der Social-Video-App Tik Tok. Der droht in den USA durch Donald Trump ein Verbot. Doch offenbar geht der Plan von Satya Nadella auf, das Tik-Tok-Geschäft in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland zu übernehmen.

Der US-amerikanische Präsident ist mit dem Vorgehen einverstanden –  unter zwei Bedingungen. Einerseits solle die US-amerikanische Regierung an einer Übernahme finanziell beteiligt werden. Andererseits muss der Deal bis zum 15. September 2020 abgeschlossen sein.

Doch sollte der Deal tatsächlich zu Stande kommen, würde Microsoft selbst plötzlich wahnsinnig an Relevanz in der globalen Technologie- und Marketing-Szene gewinnen. Letztendlich könnte sogar Facebook innerhalb weniger Monate seine dominierende Stellung verlieren.

Was zunächst absurd klingt, ist bei einem genaueren Blick gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Ein Vergleich.

Microsoft vs. Facebook: Die Netzwerke im Vergleich

Eigentlich sollte man meinen, dass Facebook in diesem Punkt deutlich gewinnt. Schließlich kommt der Konzern von Mark Zuckerberg mit Facebook, Instagram und WhatsApp auf monatlich über 2,5 Milliarden aktive Nutzer.

Dem gegenüber steht LinkedIn, das seit 2016 zu Microsoft gehört. Das Karriere-Netzwerk kommt im Vergleich zwar derzeit auf „nur“ 700 Millionen monatlich aktive Nutzer. Dafür sind diese Nutzer für Unternehmen, Personal-Verantwortliche und Marketing-Experten viel spannender.

Schließlich sind LinkedIn-User ausschließlich mit einer professionellen Intention auf der Plattform unterwegs. Das ist gerade aus wirtschaftlicher Perspektive deutlich interessanter, als Millionen an weitestgehend inaktiven, privaten Facebook- und Instagram-Accounts.

Rechnet man dazu die über 800 Millionen sehr jungen und aktiven Tik-Tok-Nutzer hinzu, entsteht für Facebook beziehungsweise Instagram ein ernstzunehmender Konkurrent. Und auch die über 80 Millionen US-amerikanischen Tik-Tok-Nutzer sind bereits ein spannender Markt.

Workplace by Facebook vs. Microsoft Teams

Im Bereich der professionellen Kommunikation in Unternehmen versucht Facebook seit einigen Jahren, die eigene Marke „Workplace by Facebook“ für Firmen attraktiv zu gestalten. Das gelingt jedoch eher schlecht als recht.

Selbstverständlich wird die Plattform genutzt. Doch Microsoft Teams ist alleine in der Corona-Pandemie von 20 Millionen auf über 75 Millionen professionelle Nutzer angewachsen – Tendenz steigend.

Wenn Microsoft in diesem Umfeld einen Konkurrenten hat, ist das nicht Facebook, sondern eher der beliebte Kommunikations-Manager Slack.

WhatsApp vs. Skype

Der einzige Bereich, in dem Facebook deutlich vor Microsoft liegt, ist die 1-zu-1-Kommunikation. Hier führt kein Weg an den über zwei Milliarden monatlich aktiven WhatsApp-Nutzern vorbei. Skype kommt hingegen nur auf etwas mehr als 300 Millionen User.

Außerdem wird Skype selbstverständlich hauptsächlich im beruflichen Kontext und zur Video-Telefonie eingesetzt, während WhatsApp die private Kommunikation rund um den Globus dominiert.

Zudem ist WhatsApp längst mehr als nur ein Messenger. Durch Gruppen-Chats, Video-Telefonie, kostenlose Anrufe, GIFs und Co. hat sich der Dienst zu einer Allzweckwaffe entwickelt.

Der einzige Kritikpunkt in diesem Zusammenhang: Obwohl Facebook-Chef Mark Zuckerberg seit Jahren beinahe zwanghaft versucht, WhatsApp zu monetarisieren, sind alle Pläne bislang weitestgehend gescheitert.

Erst kürzlich musste Facebook in Brasilien – dem zweitgrößten Markt der Welt – nur wenige Wochen nach dem offiziellen Roll-out die Bezahlfunktion WhatsApp Payments wieder einstellen. Und auch im größten WhatsApp-Markt Indien steckt die gleiche Funktion seit Jahren in der Testphase fest.

Auch hier zeigt sich also wieder: Wenn es um die Monetarisierung und professionelle Vermarktung der Nutzer geht, gelingt es Facebook nicht, dauerhaft zu überzeugen. Da sind die 300 Millionen monatlich aktiven Skype-Nutzer vermutlich mindestens genauso attraktiv.

Microsoft vs. Facebook: Die Geschäftsmodelle im Vergleich

Natürlich lässt sich die Gegenüberstellung von Microsoft und Facebook noch in vielen Bereichen fortsetzen. Jedoch ist zum Abschluss ein Blick auf die Diversifikation der einzelnen Unternehmen interessant.

Dabei steht Facebook auf der einen Seite. Das soziale Netzwerk fährt Quartal für Quartal Milliarden-Gewinne durch Werbung ein. Allerdings ist Mark Zuckerberg auch von diesen Einnahmen abhängig. Über 95 Prozent des Umsatzes entstammen dem Werbegeschäft – eine zweite Finanzierungsquelle ist de facto nicht vorhanden.

Ganz anders sieht die Situation bei Microsoft aus. Der Software-Konzern hat es in den letzten Jahren weitestgehend unbemerkt geschafft, sich zu diversifizieren. Alleine ein Blick auf die Beteiligungen und Übernahmen zeigt, in welchen Bereichen Microsoft Facebook ebenfalls noch aussticht:

  • Mit mehreren Cloud-Computing-Dienstleistungen wie beispielsweise Azure ist Microsoft ein wichtiger technischer Player.
  • Durch die Spiele-Konsole Xbox und das populäre Game Minecraft dominiert Microsoft einen nicht zu ignorierenden Teil der globalen Gaming- und auch Hardware-Szene.
  • Durch die Surface-Reihe, die aus Tablets und mobilen Laptops besteht, spielt Microsoft zudem eine zentrale Rolle in mobilen Arbeitskonzepten bei vielen Unternehmen und privaten Nutzern.
  • Mit Bing gehört zum Microsoft-Universum die nach Google immerhin zweitgrößte Suchmaschine der westlichen Welt. In Kombination mit Tik Tok entsteht daraus eine spannende Option für Werbungtreibende.
  • Das Office-Paket bringt durch die Umstellung auf das Abonnement-Modell kontinuierlich sehr hohe Einnahmen. Zugleich sichert sich Microsoft so den Zugang zu Millionen oder gar Milliarden professionellen Nutzern im beruflichen Kontext.
  • Nicht zuletzt gehört zu Microsoft selbstverständlich noch das Kerngeschäft rund um die stationären Windows-Betriebssysteme. Diese haben zwar durch den Aufstieg der Smartphones an Bedeutung verloren, sind jedoch trotzdem noch ein sehr großer Geschäftsbereich.

Hinzu kommen dann noch vermeintlich unbedeutendere Bereiche wie der Sprachassistent Cortana. In allen genannten Sektoren spielt Facebook de facto keine Rolle – und das wird sich vermutlich auch nicht ändern.

Fazit: Microsoft ist kein Internet-Opa, sondern der heimliche Star

Es ist also an der Zeit, dass wir unser Bild von Microsoft überdenken. Der angestaubte und teilweise langweilige Ruf des Konzerns wird ihm nicht gerecht. Eigentlich schafft es Microsoft seit Jahren sogar, kontinuierlich das eigene Geschäftsmodell auszuweiten, ohne dass es in der Masse auffällt.

Wie viele Minecraft-Spieler wissen wohl, dass sie gerade Microsoft unterstützen? Wie viele LinkedIn-Nutzer haben im Hinterkopf, dass sie sich im Windows-Universum bewegen? In beiden Fällen dürfte der Anteil wohl sehr gering ausfallen.

Das liegt auch daran, dass Microsoft im Gegensatz zu Facebook (und auch Google und Amazon) nicht aggressiv den Markt versucht, zu dominieren, sondern ruhig und besonnen agiert. Insofern wäre eine Teil-Übernahme von Tik Tok nur das nächste Puzzle-Stück für ein beeindruckendes Gesamtbild.

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Über den Autor

Christian Erxleben

Christian Erxleben arbeitet als freier Redakteur für BASIC thinking. Von Ende 2017 bis Ende 2021 war er Chefredakteur von BASIC thinking. Zuvor war er als Ressortleiter Social Media und Head of Social Media bei BASIC thinking tätig.