Marketing

No Shows als Marketing-Instrument: So monetarisiert der FC Bayern leere Plätze

Bislang stellten sich No-Show-Rates als ein großes Risiko für den Fußball dar. Doch in der Entwicklung liegen auch Chancen im Marketing wie das Beispiel FC Bayern zeigt.
Leere Plätze sind der Albtraum eines jeden Fußballclubs. Welche Mittel gibt es gegen No Shows?
geschrieben von Philipp Ostsieker

Seit Jahren besuchen weniger Zuschauer die Spiele der Bundesligisten. Das Problem dabei sind die sogenannten „No Shows“ und das damit verbundene Risiko für die Bundesligisten. Der FC Bayern München zeigt jedoch, dass leere Plätze ein wunderbares Marketing-Tool sind.

Wo liegt überhaupt das Problem? Noch zu Beginn des Jahres meldete die Deutsche Fußball-Liga (DFL): „Deutscher Profifußball verzeichnet in Hinrunde 2018/19 Rekord-Ticketabsatz.“

Demnach konnten die 36 Klubs aus der ersten und zweiten Liga 9.418.148 Karten verkaufen. Das sind 220.000 mehr als 2017/18, in der bislang lukrativsten Halbsaison. Ein Plus von 2,4 Prozent – also kein Grund zur Sorge?

Die Zahlen bilden offenbar nicht die komplette Wahrheit ab. Dominik Schreyer ist Junior-Professor für Sportökonomie an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf.

Er forscht intensiv zum Thema No-Show-Rates und weist seit sechs Jahren auf die damit einhergehenden Risiken für den Fußball hin. Schreyer arbeitet mit der DFL und Clubs im In- und Ausland zusammen und weiß, dass in der Bundesliga „derzeit etwa jedes zehnte Ticket nicht genutzt wird.“

Das Ergebnis ist mittlerweile in einigen Fällen ein Entzug des Vorkaufsrechts auf Dauerkarten. Die Clubs haben die Relevanz des Themas also durchaus erkannt. Zu groß ist die Angst vor leeren Rängen wie bei einigen DFB-Länderspielen oder dem Finale der Europa League in Baku.

Neben dem Stimmungsverlust sorgen sich Clubs und Verbände aber auch um Mindereinnahmen bei Catering und Merchandising. Aber: No-Show-Rates bieten neben diesen Risiken auch spannende Chancen.

No Shows: Vorbild Fitnessstudio?

Fakt ist: Die Nachfrage auf Tageskarten ist – zumindest bei erfolgreichen Traditionsclubs wie dem FC Bayern – sehr hoch. Und dieser Fakt ist wesentlich, um vom Phänomen No-Show-Rates nachhaltig zu profitieren.

Unternehmen – nicht nur im Fußball – haben zwei wesentliche Möglichkeiten, um auf hohe No-Show-Rates zu reagieren. Sie können natürlich die Ursachen bekämpfen, etwa mithilfe von Belohnungs- oder Bestrafungsmechanismen.

Oder aber sie versuchen, die Symptome zu lindern. Ein mögliches Instrument zur Symptom-Linderung ist das systematische Überbuchen von Stadionplätzen, damit ein Club seine Spieltagserlöse maximieren kann.

Was für viele Fußball-Fans vermutlich gewöhnungsbedürftig klingt, stellt etwa in der Luftfahrtindustrie ein etabliertes Instrument dar.

Noch alltagstauglicher ist das Beispiel Fitnessstudio. Die Industrie profitiert von No Shows. Also davon, dass zumindest ein Teil der Kundschaft monatlich dafür bezahlt, selten oder gar nicht ins Fitnessstudio zu gehen.

Hundertprozentig fair ist der Vergleich nicht, denn Fußballclubs haben einen entscheidenden Nachteil. Während etwa die Lufthansa ihre Passagiere vergleichsweise unkompliziert auf einen anderen Flug umbuchen kann, ist es für den FC Bayern nicht möglich, seine Zuschauer einfach auf das übernächste Heimspiel umzubuchen.

Ganz plakativ: Wer sich für die Saison 2019/20 ein Ticket für das Spiel gegen den BVB gesichert hat, gibt sich – bei allem Respekt – mit dem SC Paderborn als Gast in der Allianz Arena oft nicht zufrieden.

So attraktiv das Prinzip der systematischen Überbuchung sein mag, so risikobehaftet ist letztlich eine tatsächliche Überbuchung.

FC Bayern überbucht bereits die Allianz Arena

In der Münchener Allianz Arena gilt „das Prinzip Überbuchung“ laut Dominik Schreyer bereits als probates Marketing-Instrument. Die Vision sei es, perspektivisch „eine sitzplatzgenaue Zutrittswahrscheinlichkeit” prognostizieren zu können. Derartige Prognosen sind heute in der Regel noch nicht fehlerfrei möglich.

Aktuell fokussieren sich die Club-Verantwortlichen deshalb „wahrscheinlich noch auf den Stehplatzbereich“. Denn die Konsequenzen etwaiger Fehlprognosen sind in diesem Bereich weniger gravierend als etwa auf der Haupttribüne mit fest zugewiesenen Sitzplätzen.

Das überschaubare Risiko kann sich offenbar lohnen. Es sei „durchaus realistisch, dass der FC Bayern bereits ein paar hunderttausend Euro zusätzlich pro Saison generieren kann.“ Zusätzliche Erlöse seien dabei auch durch den Absatz von Essen und Trinken sowie Merchandising-Artikeln wahrscheinlich.

Schreyer betont, dass es sich hierbei natürlich um eine erste grobe Schätzung handle. Diese basiert maßgeblich auf zwei Annahmen:

  1. Jedes zehnte Bundesliga-Ticket im Stehplatzbereich bleibt ungenutzt.
  2. Die Ticketing-Verantwortlichen können die freien Plätze noch einmal absetzen.

In der Münchener Allianz Arena sind alle 75.024 Plätze bereits weit im Vorfeld der Saison ausverkauft sind. Es dürfte es also keinen Zweifel daran geben, dass auch der Großteil der kurzfristig angebotenen Stehplätze kurzfristig ausverkauft werden kann.

Dynamic Pricing als signifikanter Umsatzhebel?

Der wesentliche Marketing-Hebel, um mit No Shows umzugehen, nennt sich Dynamic Pricing. Die dynamische Preisgestaltung ist im US-Sport weit verbreitet.

Wer etwa ein Spiel der Major League Baseball besuchen möchte, zahlt mal viel und mal wenig Geld. Denn die Ticketpreise können schwanken – abhängig von der Nachfrage, vom Tabellenplatz des Gegners oder gar vom Wetter.

Betrachten wir den Marketing-Mix verschiedener Fußballclubs, geht die Preispolitik teilweise etwas unter. Kein Wunder, kommunikationspolitische Maßnahmen auf Instagram oder Tik Tok sind populärer.

Und kaum ein Club-Marketer erklärt gerne offensiv, dass er erfolgreich seine Ticket- oder Trikotpreise erhöht hat. Für den Erfolg von Dynamic Pricing sind laut Werner Reinartz, einem Professor am Insead in Frankreich, fünf Bedingungen entscheidend:

  1. Die Kaufbereitschaft der Kunden muss unterschiedlich sein.
  2. Der Markt muss segmentierbar sein.
  3. Das Arbitrage-Potenzial (Ausnutzungspotenzial) sollte limitiert sein.
  4. Die Kosten der Segmentierung und der Preispolitik sollten bei der Anpassung an die Kunden die Umsatzanstiege nicht überschreiten.
  5. Die Fairness sollte nicht verletzt werden.

Um diese Erfolgsfaktoren bestmöglich zu berücksichtigen, arbeiten die Vorreiter unter den Clubs mit externen Anbietern zusammen. Der FC Bayern zum Beispiel setzt auf die Expertise von Smart Pricer.

Das Berliner Unternehmen verfolgt die Vision, das Pricing in der Sport- und Unterhaltungsindustrie zu revolutionieren. Neben dem FC Bayern haben unter anderem auch Hertha BSC und der VfB Stuttgart mit Smart Pricer gearbeitet.

Auf Basis von Besucherstruktur und Preisstrategien der Clubs analysiert Smart Pricer historische und aktuelle Ticketdaten. Im finalen Schritt kommt eine Echtzeit-Software zum Einsatz, die – in Anbindung an die Ticket-Software des Clubs – eine tägliche Preisoptimierung gewährleisten soll.

Kurzfristiges Risiko oder wirtschaftlicher Erfolg?

Dank der technischen Infrastruktur und mit etwas Mut sollten Clubs mit starker Nachfrage so in der Lage sein, ihre Spieltags-Erlöse weiter steigern zu können.

Allerdings müssten die Club-Verantwortlichen das kurzfristige Risiko eingehen, zumindest in einigen Blöcken ihres Stadions auf feste Sitzplätze zu verzichten und diese kurzfristig – das heißt am Spieltag selbst – nach dem First-come-first-serve-Prinzip zu vergeben.

Aus rein wirtschaftlicher Perspektive spricht alles dafür: Die Ticket-Preise wären dynamisch, also auch marktgerecht – und die Basis für signifikant höhere Erlöse. Trauen sich die Bundesliga-Clubs zu, diesen vermeintlich unpopulären Ansatz zu verfolgen? Oder bleiben No Shows ein reines Schreckgespenst im Fußball?

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Über den Autor

Philipp Ostsieker

Philipp Ostsieker ist Medien- und Digitalmanager aus Hamburg. Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als selbstständiger Digital Content Strategist schreibt Philipp für BASIC thinking die Kolumne „Matchplan“, in der er über den Tellerrand blickt und durch die innovativen Ideen der Sportbranche führt.