In der Feldherrenkunst nennt man das einen Mehrfrontenkrieg – ein schwieriges Unterfangen für das eingekesselte Land in der Mitte. Es braucht in erster Linie eine ausgeklügelte Logistikstrategie, um dem Gegner an allen Berührungslinien mit Widerstand zu begegnen. Und die Geschichte hat gezeigt, dass dies den betroffenen Staaten nur in den seltensten Fällen gelang und gelingt. Früher oder später wird es überrannt.
In eben einer solchen Situation befindet sich gerade Google, das monströse Suchungeheuer mit den tausend Armen, das sich in jeden Bereich unseres täglichen Lebens frisst. Die Schlachtfelder rücken immer näher, so dass das Kriegsgetöse auch schon in Mountain View zu vernehmen sein muss: Die Buchverlage wettern gegen Google Books, die Unterhaltungsindustrie geht gegen Suchbegriffe vor, Datenschützer prügeln auf Street View herum, Künstler klagen wegen der Bildersuche, Autoren-Angehörige wegen geklauter Namen und nun hat sich eine eingeschworene Dreier-Allianz gebildet, die jetzt einen ersten, geschlossenen Angriff plant. Der chinesische Militärstratege Sun Tsu, eigentlich für seine Coolness bekannt, würde angesichts dieser Kriegsschauplätze schreiend vom Feld rennen, sich in irgendeinen Graben fallen lassen und das Bild seiner Mutter hervorziehen.
Es ist also soweit, Deutschland hat Google den Krieg erklärt. Die drei neuen Gegner lauten Microsoft, Euro-Cities (ein Kartenanbieter) und unsere Zeitungs- und Zeitschriftenverleger. Gemeinsam haben sie beim Bundeskartellamt eine Beschwerde gegen die Suchmaschine abgegeben, der Wettbewerb sei in Deutschland massiv in Gefahr, das Treiben müsse gestoppt werden. Microsoft schiebt dabei die 2008 übernommene Tochter Ciao vor (ja, das Verbraucherportal) und klagt darüber, dass etwas mit der gebuchten AdSense-Werbung auf anderen Websites nicht stimme, Euro-Cities moniert, dass Google Maps für Nutzer kostenfrei sei und die Verleger jammern mit vereinten Kräften, dass Google ihnen die Butter vom Brot nehme.
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Miese Kartentricks?
Über die Ciao-Geschichte ist bis auf Vertragsmauscheleien nichts Näheres bekannt, deshalb kann ich da auch (noch) nichts zu sagen Also setzen wir zunächst bei Euro-Cities an: Der GPS-Markt liegt komplett am Boden. 2007 hatte TomTom Tele Atlas für 2,7 Milliarden Dollar übernommen, wenige Monate später schluckte Nokia den Anbieter NavTeq für rund 8,1 Milliarden Dollar. Beide Kartendienste lieferten weiterhin Material für Google Maps, allerdings schickte die Suchmaschine verstärkt Kameraautos auf alle Straßen dieser Erde und zeichnete dabei gleich auch die GPS-Daten mit auf. 2008 kündigte Google daher den Vertrag mit NavTeq, im vergangenen Herbst wurden dann Tele Atlas (zumindest schon einmal in den Staaten) von der Plattform geworfen. Google verfügt heute gemeinsam mit eigenen Daten und frei verfügbaren Karten im Netz über einen annähernd vollständigen Atlas. Am 28. Oktober 2009 stellte Google deshalb ein eigenes Navigationssystem für Android-Smartphones vor, daraufhin stürzte die Aktie von Garmin um 16 Prozent ab, bei TomTom sanken die Kurse um 21 Prozent. Wer kauft noch Navigationsgeräte und Karten, wenn es sie auch kostenlos gibt? Oder, anders gefragt: Welches Startup zahlt Lizenzen für etwas, das gratis und völlig legal über eine einfache API-Anbindung angezapft werden kann?
Google ist nicht böse und Google ist nicht gut. Es gibt bei der Suchmaschine in jeder Handlung nur eine Motivation, und die lautet „Werbung“. Um in diesem Spiel die Regeln selbst bestimmen zu können, muss Google unabhängige Dienste etablieren, erst dann kann es – nach einiger Eingewöhnungszeit für die Nutzer – an die Auslieferung gehen. Da Google Maps kostenlos ist, haben nun auch Handybauer wie Research in Motion (BlackBerry) oder Apple massiv Probleme: sie können sich entweder eigene Lösungen basteln (Apple ist gerade dabei), Lizenzabgaben für Alternativlösungen zahlen oder dem Google-Diktat gehorchen. Und Google lässt sein Angebot verdammt verführerisch aussehen, immerhin werden die Gerätehersteller an den Werbeeinahmen beteiligt.
Ist das Wettbewerbsverzerrung? Die juristische Beurteilung des Sachverhalts muss letztendlich das Bundeskartellamt geben. Tatsache ist, dass der Kartenmarkt zuvor zerstört wurde, nur um unter eindeutiger Dominanz von Google wie Phönix aus der Asche wieder aufzuerstehen. Stichwort: Boom der geobasierten, mobilen Dienste. Auf der anderen Seite muss man sich allerdings fragen, was Google falsch gemacht hat, dass es nun zur Beschwerde kommt. Richtiger Zeitpunkt, richtiger Ort und dann den Hebel angesetzt. Warum hat sich Euro-Cities nichts einfallen lassen?
Der Schnipsel-Zorn des Hubert Burda
Kommen wir nun also zu meinen Freunden, den Verlegern. Laut der dpa-Meldung, die Samstagabend die Runde machte, gehen die Zeitschriften- und Zeitungsbosse wegen der „Snippets“ auf die Barrikaden. Das ist nichts Neues, Rupert Murdoch hatte es in den Staaten vorgemacht, Hubert Burda hat in Deutschland nachgekläfft: Google reiße sich rotzfrech den sauer erarbeiteten Content der Redakteure unter den Nagel und betreibe damit eine „schleichende Enteignung“ der Verlage. Doch worum geht es überhaupt? Na, um die Snippets in der Google News-Rubrik. Und die sehen so aus:
Richtig. Darum geht es. Google würde die News-Fetzen nicht nur nutzen, um seine Datenbanken zu füttern, sondern verdiene damit auch noch Geld! Das stimmt sogar. Google hatte Ende Februar vergangenen Jahres damit begonnen, AdWords-Anzeigen in die Nachrichtenübersichten zu streuen – in den USA zumindest, hierzulande habe ich davon noch nichts mitbekommen. Die Diskussion um die Mini-Snippets ist schon breit geführt worden, deshalb werfe ich jetzt den Schnelldurchlauf an: Verlag sieht Content-Diebstahl, Google sagt: „Dann blockt uns doch!“, Verlage sind muffelig, weil die News-Ergebnisse Traffic-Lieferant Nummer eins sind, Google lacht, Verlage wollen Werbebeteiligung, Google sagt: „Ein bißchen bekommt ihr!“, Verlage sind noch muffeliger, Google bietet an, nach fünf Klicks die Schotten dicht zu machen, Verlage zögern jedoch weiter beim Paid Content und sind nun am muffeligsten. Die Spitze des Protestes bedeutet nun der Gang zum Bundeskartellamt, und wenn das mit den Schultern zuckt, steht wohl unvermeidbar Brüssel auf der Reiseliste.
Der Unmut ist vergleichbar mit dem eines Belletristikverlages, der auf einen Buchhändler losgeht, weil der Klappentext von Romanen für seine Ladenbesucher sichtbar ist. Die Besucher greifen erst kostenlos „Lektüre“ ab und dann kaufen sie nur eine Postkarte an der Kasse und gehen. Entfernen wir uns zwei Schritte von der Szene, um das Bild in seinem Ganzen zu sehen, bemerken wir erst die Bilanzmisere des Buchverlags, seine unterbezahlten Autoren, dann das schlechte Marketing, die Einfallslosigkeit und zuletzt die große Furcht des Verlegers, die Dinge endlich selbst in die Hand zu nehmen.
Backt euch einen eigenen Kuchen
Meiner Meinung nach hat Google (und hat Bing) einen großen Fehler begangen, Twitter und Facebook Kohle zu bieten, um Tweets und Status-Updates in der Suche anbieten zu können. Nun steht der Kuchen auf dem Tisch – und jeder möchte sein Stück haben. Die Gerüchte rund um den Murdoch-Bing-Deal waren da auch nicht sonderlich hilfreich. Doch – nur zu: Ich will von Google einen Cent pro Klick auf jeden meiner Posts in den Suchergebnissen. Basta! Man stelle sich vor, ich gehe mit meiner Forderung zum Kölner Amtsgericht. Mit zerknitterter Krawatte!
Die deutschen Verleger liegen sich in warmer Harmonie in den Armen, weil sie ein gemeinsames Feindbild geschaffen haben, anstatt gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um gescheite Monetarisierungsmodelle zu entwickeln. Sie prügeln auf allem herum, auf Google, der untätigen Politik, den scheuen Werbekunden, auf der Tagesschau. Und wenn es tatsächlich einmal jemand wagt, auf Paid Content zu setzen, lachen sie feixend über das schwache Glied in ihrer Kette. „Diese Märkte sind für die Verleger überlebensnotwendig“, hatte VDZ-Geschäftsführer Wolfgang Fürstner noch kürzlich gesagt und spielte damit auf mobile Anwendungen für Content ab. Aber wo sind die denn? Für den Kindle sind bis heute nur Abonnements für drei deutsche Tageszeitungen verfügbar, im App Store tummeln sich gerade einmal ein halbes Dutzend Paid Apps für Zeitungen. Mutig sieht anders aus…
Und natürlich ist es einfacher, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Dass Google einen ordentlichen Schuss vor den Bug braucht, dass die Suchmaschine klare Grenzen aufgezeigt bekommen muss, ist völlig verständlich und anhand des obigen GPS-Beispiels vielleicht auch nun für mehr Leser nachvollziehbar. Nur sollte das die Aufgabe der Politik bleiben. Leider haben wir es hierzulande mit einem Staat zu tun, der bei Demonstrationen von Null-Kompetenz in Sachen Internet stets brilliert. Die jüngsten, völlig plumpen und unbeholfenen Worte unserer Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) haben das einmal mehr gezeigt. Google ist eine harte Nuss, die es zu knacken gilt, doch die deutsche Politik ist dazu nicht in der Lage und überlässt stattdessen den Privaten den Vortritt, die nur die eigenen, wirtschaftlichen Interessen im Kopf haben. Sun Tsu hätte sich vielleicht verkrochen, der Suchriese lässt sich aber nur schwer einschüchtern. Wie nervös Google auf die neue Beschwerde reagiert, verdeutlicht das Statement des Sprechers: „Wir sind natürlich gern bereit, dem Bundeskartellamt unsere Produkte und Geschäftspraktiken zu erklären.“ Ja, und danach gehen wir alle Kaffee trinken.
(André Vatter)